Sommerlicht Bd. 3 Für alle Ewigkeit
Niall. Er schwieg einen Moment, straffte dann die Schultern und rollte sie, als wollte er ihre Beweglichkeit testen. »Ich nehme an, das eigentliche Dilemma ist, dass ich nicht weiß, wo ich meine Schlechtigkeit hinlenken soll.«
»Dann gib dir doch einfach mehr Mühe, ihr zu widerstehen.«
»Klar.« Niall verzog keine Miene, als er hinzufügte: »Das ist genau das, was ein König der Finsternis tun sollte: der Versuchung widerstehen.«
Sechs
Ashlyn fütterte die Vögel, als Keenan türenschlagend und mit düsterer Miene hereinstürmte. Einer der Nymphensittiche, der hinten an ihrem Shirt hing, steckte seinen Schnabel durch ihre Haare, um den Sommerkönig zu beobachten. Die Vögel waren stets ein Quell des Trosts für Keenan. Wenn er melancholisch war oder gereizt, setzte er sich hin und beobachtete sie – das war für ihn eine der wenigen unfehlbaren Methoden, die schlechte Laune zu vertreiben. Die Vögel schienen zu wissen, wie wertvoll sie waren, und benahmen sich entsprechend. Heute schenkte er ihnen jedoch keine Beachtung.
»Ashlyn«, sagte er an Stelle eines Grußes und stapfte an ihr vorbei zu seinem Büro.
Sie wartete. Der Nymphensittich ergriff die Flucht. Keiner der anderen Vögel kam zu ihr geflogen; stattdessen schienen sie sie alle erwartungsvoll anzusehen. Die Federhauben der Nymphensittiche waren aufgestellt. Die anderen Vögel starrten sie nur an – oder in die Richtung, in die Keenan verschwunden war. Einige krächzten oder tschilpten.
»In Ordnung. Ich sehe mal nach ihm.«
Sie folgte ihm in sein Büro. Es war einer der beiden Räume, die zu Keenans Privatbereich zählten. In den anderen – sein Schlafzimmer – setzte sie nie einen Fuß, doch in sein Büro gingen sie oft, wenn sie zu zweit waren. Sich ohne ihn dort aufzuhalten, fühlte sich seltsam für sie an. Die Sommermädchen machten es sich manchmal mit einem Buch auf dem Sofa bequem, aber sie hatten ja auch kein Interesse daran, sich von Keenan abzugrenzen. Ashlyn dagegen schon. Je näher der Sommer rückte, desto stärker fühlte sie sich zu ihm hingezogen – was sie nicht wollte.
Ashlyn blieb an der Tür stehen und versuchte das Unbehagen darüber abzustreifen, dass sie sich in seinen Privaträumen aufhielt. Er sagte ihr andauernd, dass ihr das Loft ebenso gehörte wie ihm, dass jetzt alles ihr gehörte. Ihr Name stand auf Kundenkarten, Kreditkarten und Bankkarten. Da sie diese jedoch ignorierte, ging er zu subtileren Gesten über, zu Dingen, die ihr in seinen Augen halfen, sich im Loft zu Hause zu fühlen. Kleine Ketten, um mich anzubinden . Es war nicht auf den ersten Blick zu erkennen, dass er das Büro verändert hatte, aber wenn sie sich genauer in dem nüchternen Raum umsah, bemerkte sie kleine Verwandlungen. Sie wohnte nicht hier, doch sie verbrachte so viel Zeit im Loft, dass es inzwischen zu einem zweiten – oder dritten – Zuhause geworden war. Ihre Nächte verbrachte sie entweder bei Grams, bei Seth oder im Loft. An allen drei Orten hatte sie Kleider und Toilettenartikel deponiert. Ihr echtes Zuhause, die Wohnung, die sie sich mit Grams teilte, war der einzige Ort, an dem sie völlig normal behandelt wurde. Zu Hause war sie keine Elfenkönigin; da war sie einfach ein Mädchen, das besser in Mathe werden musste.
Während sie zögernd an der Tür stand, setzte sich Keenan auf eine Seite des dunkelbraunen Ledersofas. Jemand hatte einen Krug mit Eiswasser gebracht; Kondenswasser lief in kleinen Rinnsalen an seinen Seiten herab und bildete eine Pfütze auf der Achatplatte, die als Couchtisch diente. Er schleuderte eins von den neuesten Kissen, ein übergroßes grünes Teil ohne jeden pompösen Zierrat, von sich. »Donia will mich nicht sehen.«
Ashlyn schloss die Tür hinter sich. »Und weshalb diesmal?«
»Vielleicht, weil ich sie nach Bananach gefragt habe. Vielleicht auch immer noch wegen der Sache mit Niall. Vielleicht aber auch aus irgendeinem –«, Keenan brach mitten im Gedanken ab und machte ein finsteres Gesicht.
»Hat sie denn überhaupt mit dir geredet?« Ashlyn legte ihre Hand kurz auf seinen Arm und ging dann zum anderen Ende des Sofas. Sie hielt aus Gewohnheit Abstand zu ihm und wich nur für die Etikette oder freundschaftliche Gesten von dieser Regel ab, doch es wurde von Tag zu Tag schwerer, diesen Abstand einzuhalten.
»Nein. Ich wurde schon wieder an der Tür abgefangen und durfte das Haus nicht mal betreten. ›Es sei denn, es ist ein offizieller Geschäftsbesuch‹, hat Evan gesagt. Sie
Weitere Kostenlose Bücher