Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
Menschen, die wir kannten, sind tot. Die Regeln … Es ist nicht mehr unsere Welt, nicht nach so langer Zeit.«
Das gedämpfte Licht, das durchs Fenster hereinfiel, warf graue Schatten auf das Bett hinter Glas. Es war geschrumpft und wirkte jetzt eher wie eine Bahre. Rae wusste nicht, ob das sargähnliche Erscheinungsbild die geschrumpfte Welt der Königin widerspiegelte oder noch etwas anderes, aber ganz gleich, was der Grund sein mochte, es war beunruhigend.
Da sie nichts anderes tun konnte, als auf die Auflösung der Welt zu warten, trat sie erneut in den Traum der Königin ein.
Die löwenartigen Bewacher fauchten sie an.
»Ich will dich nicht sehen«, sagte Sorcha, ohne ihren Blick vom Spiegel abzuwenden.
»Devlin bringt Seth zu dir zurück, aber er sagt, dass das Elfenreich so aussehen muss, wie es sollte, damit dein Sohn zu dir gelangen kann.«
Sorcha zeigte auf das Bild im Spiegel: Seth ging darin gerade eine Straße entlang. »Ich kann ihn sehen. Er ist nicht im Elfenreich.«
»Aber er wird es sein«, beharrte Rae. »Vielleicht solltest du aufwachen, um dich fertig zu machen.«
Da löste Sorcha sich vom Spiegel und bedachte Rae mit einem vernichtenden Blick. »Ich brauche nur eine Sekunde, um mich fertig zu machen, Kindchen. Ich bin die Königin des Lichts, nicht irgendeine Sterbliche, die hart arbeiten muss, um Perfektion zu erreichen. Wenn er kommt, wache ich auf, aber vorher nicht. Geh jetzt und stör mich nicht mehr, bis er da ist.«
Es gab nichts weiter zu sagen. Eine der geflügelten Kreaturen leckte ihre Mähne und schenkte Rae etwas, das einem Lächeln nahekam. Die Traumwächter der Lichtkönigin waren Verlängerungen ihres Willens, und ihr Wille musste respektiert werden.
Rae erschauderte und trat zurück in den abgedunkelten Raum im Elfenreich.
Stunden später wurde die Stille von einem Schrei zerrissen. Dann noch einem. Viele weitere Schreie folgten.
Durch ein hohes Glasfenster auf der gegenüberliegenden Seite des höhlenartigen Raums sah Rae eine Fremde die Straße herunterkommen. Sie schwang eine Kriegsaxt und warf Messer nach fliehenden Elfen. Dabei lächelte sie.
Ich kenne dich . Rae wusste nicht woher, aber die Elfe fühlte sich vertraut an. Sie hatte dicht gefiederte Flügel, einen dunklen Lockenschopf, der eine Mischung aus Haaren und Federn zu sein schien, und aufgemalte Muster im Gesicht. Ihr Blick schoss prüfend umher.
Sie blieb auf der anderen Straßenseite stehen und blickte Rae an. Das Grinsen, das sie ihr schenkte, wirkte vertraut, wie ein unangenehmes Gegenstück zu Devlins Lächeln.
Devlins andere Schwester. Bananach .
»Da bist du ja, Mädchen.«
Ihre Worte flogen durch Wände und Glas wie Gegenstände, die sie nach Rae schleuderte. Rae trat einen Schritt zurück, stellte sich zwischen Sorcha und diese Elfe, die Bananach sein musste, die verrückte Zwillingsschwester der Königin des Lichts. Es war nicht so, dass Rae Bananach hätte aufhalten können: Sie konnte als Körperlose gegen die Physis nichts ausrichten. Ihr lag nicht einmal daran, Sorcha zu beschützen. Die Königin des Lichts hatte nichts getan, um sich ihre Loyalität zu verdienen. Raes Verhalten war lediglich eine instinktive Reaktion, um das Wesen zu schützen, das die Welt um sie herum kreierte. Sorcha erschuf, Bananach zerstörte. Diese simple Tatsache genügte, um vorübergehend Raes Loyalität zu mobilisieren.
Bananach packte einen schlafenden Elf und schleuderte ihn durchs Fenster. Glasscherben regneten auf den Steinboden herab. Der Elf, den sie als Wurfgeschoss benutzt hatte, blieb bewusstlos und blutend liegen. Die zwei Sterblichen zeigten keinerlei Reaktion. Sie blieben einfach neben dem Schrein mit ihrer Königin sitzen.
»Lauft weg. Sofort!«, rief Rae ihnen zu. Sie drehte sich nicht um, um zu überprüfen, ob sie gehorchten.
Die zerstörerische Elfe blickte nach links und rechts, griff nach unten, riss einen jungen Baum aus der Erde und schlug damit das restliche Glas aus dem Fensterrahmen. Wieder regneten glitzernde Glasscherben auf den Steinboden herab.
Rae rührte sich nicht von der Stelle, konnte sich nicht bewegen, während Bananach durch den Fensterrahmen trat. Glasstücke knirschten unter ihren Stiefeln.
»Du gehörst zu meinem Bruder«, stellte Bananach anstelle einer Begrüßung fest. Die Rabenelfe kam so dicht an Rae heran, dass es sich einen Atemzug lang anfühlte, als würde sie gegen sie laufen. Rae bewegte sich zur Seite.
Bananach umkreiste Rae schnüffelnd, dann
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