Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
stockte sie plötzlich. Sie neigte ihren Kopf so nah zu ihrer eigenen Schulter, dass es aussah, als seien ihre Halsmuskeln durchtrennt worden. »Du riechst nach ihm. Er ist nicht hier.«
»Nein, ist er nicht«, bestätigte Rae.
Hinter Bananach erspähte Rae ein paar Elfen auf der Straße, die noch wach waren und sie beobachteten. Sie rührten sich nicht, weder um zu helfen noch um zu fliehen. Sie starrten einfach mit angsterfüllten Mienen, völlig unpassend für den Lichthof, herein.
»Du hast seine Haut getragen.« Bananach schnüffelte erneut. »Mehr als nur einmal. Er hat dich in seinen Körper gelassen.«
»Devlin ist mein Freund«, sagte Rae.
Bananach kicherte. »Er hat keine Freunde. Für solche Dinge ist er nicht gemacht.«
Rae straffte die Schultern und blickte der Elfe fest in die Augen. »Ich bin, was immer er möchte, dass ich bin.«
Die Elfe schaute Rae an, als sei sie sehend, und Rae vermutete, dass sie tatsächlich etwas erkannte, die Fäden betrachtete, die Raes Zukunft beschrieben. Es machte Rae nervös, derart begutachtet zu werden. Bananach prüfte sie gründlich, und für den Fall, dass ihr die Ergebnisse nicht gefielen, gab es keinen Grund zu glauben, dass sie Rae in Ruhe ließe.
Kann sie mich töten?
Aber was auch immer Bananach in Raes Zukunft sah, veranlasste sie offenbar nicht anzugreifen. Sieht sie denn etwas? Das Mienenspiel der Elfe war undurchdringlich. Sie nickte kaum merklich und lief nun an Rae vorbei.
»Und da bist du , meine Schwester.« Bananach streckte die Hand aus, als wollte sie den gläsernen Sarg berühren. Doch ihre krallenbewehrte Hand schwebte über dem blauen Glas in der Luft. »Hörst du mich?«
Einen unangenehmen Moment lang wollte Rae auf keinen Fall etwas sagen, um die Aufmerksamkeit der Rabenelfe nicht erneut auf sich zu ziehen. Es war eine normale Reaktion – Beute versuchte selten, die Blicke des Raubtiers auf sich zu ziehen. Aber das war nicht akzeptabel. Wenn Bananach Sorcha verletzen und so dafür sorgen konnte, dass die Königin des Lichts keinen Zugriff mehr auf die Realität hatte, zöge das unvorstellbar schlimme Folgen nach sich.
»Sie kann dich nicht hören«, sagte Rae.
Bananachs Kopf drehte sich grotesk weit um die eigene Achse. »Aber dich, oder?«
Rae zuckte die Achseln. »Manchmal.«
»Und was träumt sie, die verrückte Königin?« Bananach ließ ihre Hand auf das Glas sinken, während sie Rae weiter beobachtete. Geistesabwesend fuhr sie mit ihren Krallen über die Scheibe und erzeugte so ein kreischendes Geräusch.
»Frag Devlin.«
Bananachs Flügel öffneten sich, so dass ihr Schatten das wenige Licht vom Fenster schluckte. »Er ist nicht hier, Kind.«
»Aber er wird es sein.«
»Aaah, er kommt … Meinst du denn, dass er und die Hundselfe meine Nachricht erhalten haben?«, fragte Bananach. »Ich habe ihnen ein Geschenk zurückgelassen.«
»Ein Geschenk?«
»Blutverschmiert, aber es schreit nicht mehr.« Bananach wirkte einen Moment niedergeschlagen. »Wenn ich die Schreie hätte aufbewahren können, hätte ich es getan, aber sie sind mit dem Körper gestorben.«
Rae wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte.
Bananach schüttelte den Kopf. »Ich muss noch ein paar Elfen töten, bevor ich mit meinem Bruder spreche, Traumwandlerin, aber ich bin bald zurück.«
Noch während sie sprach, schlug sie mit beiden Fäusten auf den gläsernen Schrein. Ein dumpfer Knall hallte so laut durch den Raum, dass Rae zusammenzuckte und sich die Ohren zuhielt. Die Mauern schienen zu erbeben – doch das Glas war nicht zerbrochen.
»Leider.« Bananach legte ihre Wange über Sorchas Gesicht auf die Scheibe. »Ich schlachte sie ab, während du schläfst. Na ja, nicht alle«, sie streichelte das Glas, »heute. Ich brauchte ein bisschen Zwietracht zu meiner Beruhigung, um mich auf die Vernichtung des Verräters vorzubereiten.«
Dann trat sie so ruhig, wie sie gekommen war, wieder durch den Fensterrahmen nach draußen. Hilflos sah Rae zu, wie Bananach wieder verschwand und ihr Gemetzel fortsetzte. Auf ihrem Weg durch die Straßen des Elfenreichs stach sie in Bäuche, drehte Hälse um und schleuderte Körper durch die Luft. Dabei machte sie keinen Unterschied zwischen Schlafenden und denen, die sie kommen sahen. Die Welt verwandelte sich in Krieg. Totenfeuer flackerten auf, Schreie hallten noch lange nach Eintreten der Tode nach und Leichengeruch erhob sich in einer Übelkeit erregenden Wolke in die Luft.
Komm schnell,
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