Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
umbringen können, würde es Tish und Jillian jetzt gut gehen und …«
»Nein. Das hätte keine von beiden gewollt.« Devlin küsste ihr die Stirn und hielt sie fest.
Er wusste nicht, wie lange sie so dastanden. Ani weinte fast lautlos, ihre Tränen durchnässten sein Hemd, und ihre erstickten Schreie wurden durch seine Brust gedämpft. Devlin ahnte, dass das erst der Anfang war. Ihr Bruder schlief auf der anderen Seite der Tür, deshalb würde sie jetzt nicht laut wehklagen – nicht, wenn es Rabbit aus dem Schlaf schrecken könnte.
Devlin lauschte auf die Geräusche, die auf Bewegungen außerhalb des Hauses schließen ließen, hörte jedoch nur Ani und die Elfen, die zu ihrem Schutz abgestellt waren. Irial erledigte einige Telefonate. Er ließ sich dabei, was seinen Ton anging, nichts anmerken, doch Devlin wusste, welcher Zorn in dem ehemaligen König der Finsternis entbrannt war. Irials Familie war heimgesucht worden, und von sämtlichen Höfen war es vor allem der der Finsternis, in dem Familie als etwas beinahe Heiliges galt.
Ganz anders als am Hof des Lichts …
Bei aller Trauer, die auf den Bewohnern dieses Hauses lastete, musste Devlin irgendwie eine Gelegenheit finden, den Grund ihrer Rückkehr anzusprechen.
Irial öffnete die Tür. »Er ist wach.«
Ani streckte sich und gab Devlin einen flüchtigen Kuss. Dann ging sie wortlos hinein.
Irial und Devlin standen einen Moment lang einfach nur voreinander. Es war weder möglich, sanft zum Thema überzuleiten noch es aufzuschieben. Seth musste zu Sorcha gebracht werden. Das Timing war schlecht, aber die Dinge standen nun mal, wie sie standen. Krisen hielten sich nicht an Zeitpläne.
»Wir müssen reden. Sorcha geht es nicht gut«, begann Devlin.
Irial hob eine Hand. »Kann ich erst einen Kaffee aufsetzen? Ich hab kein Auge zugetan.«
Devlin nickte und folgte dem ehemaligen König in die Privatzimmer des Hauses. Es war kein schönes Gefühl, dort zu sein. In diesen winzigen, ans Tattoostudio angrenzenden Räumen hatte Ani sich von den Folgen dessen erholt, was Sorcha angeordnet hatte. Und jetzt war es der Ort, wo sie die Folgen der Grausamkeit seiner anderen Schwester beweinte.
Seine Schwestern waren der Quell ihres Schmerzes. Er versteckte seine Emotionen gründlich. Er würde tun, was getan werden musste, und sich bemühen, ihr eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Vielleicht kann ich ihr Jillian zurückbringen .
Ani stand im Flur zwischen der Küche und den Räumen, die ihre Schlafzimmer zu sein schienen. »Rab?«
»Ani.« Rabbit klang ganz heiser vor Trauer. Er kam in den Flur und drückte Ani an sich. »Du bist in Sicherheit, Gott, habe ich … Du musst mir zuhören. Du musst alles tun, um vor ihr sicher zu sein, egal, was es ist. Versprich mir das. Versprich mir …«
»Schhhhh.« Ani legte die Arme um ihren Bruder und hielt ihn ganz fest, während er von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. »Ich bin zu Hause. Tut mir leid, dass ich nicht hier war. Es ist meine Schuld …«
»Nein«, erwiderten Rabbit und Irial gleichzeitig.
Ani sah sie an. »Doch.«
»Nein. Sterbliche sind zerbrechlich«, sagte Devlin. »Selbst wenn du hier gewesen wärst, hätte sie …«
Ani schob sich an ihm vorbei zurück ins Tattoostudio und von dort nach draußen. Das Schlagen der Ladentür wurde vom Scheppern der dort hängenden Glocke begleitet – und von Anis wütendem Schrei.
»Bleib hier.« Irial legte eine Hand auf Rabbits Arm, als der Tattookünstler ihr nachlaufen wollte, und warf Devlin einen demonstrativen Blick zu.
Als wenn ich eine besondere Aufforderung bräuchte, ihr nachzugehen.
Ani in diesem Zustand zu erleben, war für ihn eine völlig neue Erfahrung. Seine eigenen Emotionen waren wie immer sorgfältig weggesperrt, dennoch zerriss es ihn innerlich, Ani so verletzt zu sehen.
Devlin trat ins Studio und stockte: Draußen waren Hundselfen, und Ani stand genau auf der anderen Seite des großen Ladenschaufensters. Ich könnte durchs Fenster springen, wenn sie in unmittelbarer Gefahr wäre . Die Bedrohung war zu groß. Ich muss an ihrer Seite sein, wenn sie angegriffen wird. Er holte tief Luft und stieß die Tür auf.
Sie schaute nicht in seine Richtung. Stattdessen starrte sie hartnäckig ins Nichts.
Er lehnte sich neben ihr an die Wand. »Es war nicht deine Schuld. Das musst du einfach wissen.«
Tränen kullerten ihr übers Gesicht. Ani wischte sie nicht weg. Sie rannen ihr über Wangen und Kinn, liefen dann den Hals hinab und tropfen
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