Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
bereits einige seiner Art getroffen. Sie hatten zwar keinen eigenen Hof, lebten jedoch unter seiner Oberherrschaft. Todeselfen brauchten keinen Hof: Sie hatten keine Feinde. Unsterbliche Wesen waren nicht so dumm, sich mit jemandem einzulassen, der sie töten konnte und wollte und dazu nicht mehr Kraft benötigte als sie selbst zum Atmen. Ashlyn trat ein paar Schritte zurück. Sie hatte willentlich der Berührung durch eine Elfe zugestimmt, die gleichbedeutend mit dem Tod war. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Wenn Keenan und Niall ihr nicht einiges über Verhandlungen mit Elfen beigebracht hätten, hätte die Sache übel enden können.
Und das kann sie auch immer noch.
»Sie haben mir damals nicht gesagt, dass du für mich so zum Greifen nah warst. Beinahe tot. Beinahe mein.« Far Dorcha runzelte die Stirn und betrachtete ihr Gesicht, als läse er Worte von ihrer Haut ab. »Der Winter hat dir eine Stichverletzung zugefügt.«
Als sie das hörte, waren Ashlyns Sorgen über den Handel wie weggefegt und durch andere ersetzt. Beinahe tot? Sie hatte gewusst, dass sie verletzt war, und daran gezweifelt, dass sie überleben würde. Doch dann hatte sie sich eingeredet, die Wunde wäre einfach nur besonders schmerzhaft, aber nicht wirklich gefährlich. Bevor sie die passenden Worte für eine Erwiderung fand, blies er ihr seinen widerlich süßen Atem ins Gesicht.
Sie geriet erneut ins Taumeln, da sie den Schmerz und die Gefühle, die diese Verletzung begleitet hatten, plötzlich wieder genauso intensiv empfand wie an jenem Tag. Der Friedhofsblumenduft sorgte dafür, dass ihr Körper sich an Dinge erinnerte, die ihr Geist zu verdrängen suchte. Hat Donia mich wirklich so schwer verletzen wollen? Dieses Thema hatten sie nie besprochen: Das Eis der Winterkönigin hätte leicht tödlich sein können. Wenn Keenan nicht gewesen wäre … Er hatte sie gerettet und durch diese Heilung hatte er sie – und Seth – gezwungen, die unzweifelhafte Verbindung zwischen Sommerkönig und Sommerkönigin anzuerkennen.
Aber jetzt empfand sie nicht dasselbe Vergnügen wie während der Heilung durch Keenan: Nur den Schmerz des durch ihren Körper kreisenden Eises durchlebte sie erneut, als sie den zuckersüßen Odem der Todeselfe einatmete. Sie legte sich die Hand auf den Bauch. »Was … wie …«
»Du warst noch nicht ganz in meiner Reichweite, als dein König sich eingemischt hat«, sagte Far Dorcha.
Der Dunkle Mann seufzte erneut und Ashlyn fühlte, wie die Erinnerung an ihr zerrte. Sie spürte tief in ihrem Körper verborgene Wintersplitter und wurde plötzlich von der schrecklichen Ahnung befallen, dass diese Wunde ihre neu gewonnene Unsterblichkeit beenden würde. Diese Verletzung wird am Ende tödlich sein. Ashlyns Knie gaben nach.
»Genug.« Um sich zu stärken, griff sie ins Gras und suchte nach der dort verborgenen Fruchtbarkeit der Erde. Das ist keine Wunde; es ist bloß eine Erinnerung.
Der Schmerz war noch immer so intensiv, dass sie einen Augenblick auf dem Boden verharrte und die Wärme des Sommers durch den vereisten Boden in ihren Körper strömen ließ.
Dann waren plötzlich ihre Wachen neben ihr. Ein Ebereschenmann nahm ihren Arm, wie um sie zu stützen, doch sie schüttelte ihn ab und stand auf. Dann ging sie einen Schritt auf Far Dorcha zu.
Sei souverän. Ashlyn musste fast lachen, dass sie damit den Rat ebenjener Elfe annahm, deren Angriff sie nun erneut durchlebte. Ich bin die Sommerkönigin. Ich kann das.
»Komm nicht noch mal hierher und greife einen Regenten an«, sagte sie.
»Warum angreifen?« Der Dunkle Mann lachte. »Wir hatten eine Abmachung, kleine Königin. Dass dir das Ergebnis nicht gefällt, ist nicht meine Schuld.«
Das Sonnenlicht pulsierte so intensiv durch ihren Körper, als würde Keenan neben ihr stehen und sein Licht mit ihr teilen. Sie presste es in Far Dorchas Brust, nicht als Angriff, sondern als Erinnerung daran, was – wer – sie war. »Ich weiß nicht, was du hier tust, aber es reicht jetzt.«
Keine der Wachen berührte Far Dorcha, aber eine trat näher. »Meine Königin? Vielleicht …«
Ashlyn hob die Hand. »Dem hier hatte ich nicht zugestimmt … was auch immer es war.«
»Erinnerung«, sagte Far Dorcha. »Ich erinnere mich einfach nur.«
»Das ist aber nicht deine Erinnerung.« Ashlyns Wachen wurden unruhig und sie bedeutete ihnen, sich nicht von der Stelle zu rühren. Eine Königin musste ihren Hof beschützen und sie war sich ziemlich sicher, dass es keine
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