Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Kjartan den Fußboden in der Lagerhalle aufgebrochen und das Kreuz eingepflanzt hatten, und nachdem Matthias ein paar Worte dazu gesagt hatte – es war, als sei er sich sicher, dass seine Worte über Grab und Tod hinausreichten, wir hingegen sind uns unsicher, ob er es ernst meinte oder sich auf makabre Weise lustig machte -, da sagte er noch zu den beiden Busenfreunden Kjartan und Davið, es sei ihrer aller Pflicht, sorgsam mit dem Kunden umzugehen und dafür zu sorgen, dass er sich wohlfühle und dass er auch allein deswegen käme, um sich mit jemandem zu unterhalten. Die Leute, erklärte er, sollen Ruhe empfinden, wenn sie an uns denken; so tragen wir ein kleines bisschen zu einer besseren Welt bei. Das unterschreiben wir gern, manche legen sich tatsächlich einen Anlass zurecht, um zu ihnen zu gehen, und Benedikt erscheint zweimal die Woche, um mit allen drei Schach zu spielen, Matthias lädt ihn dann manchmal zum Essen ein. Gleich am ersten Tag nach der Wiedereröffnung von Lagerinn hatte Matthias Jakob, den Fahrer des LKWs, gebeten, ihm ein paar Sachen mitzubringen, die er in Reykjavik gelassen hatte, ein Sammelsurium von Gegenständen, die sich in sechs Jahren Wanderschaft angesammelt hatten, eine kleine Figur aus Frankreich, eine ausgestopfte Tarantel vom Amazonas und so weiter. Matthias hatte gedacht, sich für den Anfang eine kleine Wohnung zu mieten und zu sehen, ob er es hier im Ort aushielt, doch Elisabet sagte: Du kannst bei mir wohnen, so lange, wie ich dich liebe.
Elisabet kommt regelmäßig im Lager vorbei, und das sind oft schöne Stunden. Sie hat schon auf Davið aufgepasst, als der noch ein kleines Kind war, sie ist seine Vertraute und weiß von der Sache mit Harpa, nur sie. Davið achtet nicht darauf, wie sie sich kleidet, aber das tut Kjartan. Der gelbe Pullover, denkt er, das schwarze Kleid, denkt er, und das Haar fließt ihr über die Schultern. Manchmal trägt sie es auch hochgesteckt, und dann gäbe Kjartan vermutlich zwei bis drei Finger, um es auflösen zu dürfen. Matthias braucht keinen Finger dafür zu geben. Sie kommt mit aufgestecktem Haar in sein Büro, er sagt, kannst du es bitte offen tragen, und sie tut es. Ihr Haar, lang und schwarz, herrlich oder höllisch, fällt herab, und zwar auf eine Weise, die einen verrückt machen könnte. Dann blickt sie sich vielleicht um und sieht auf dem Fußboden die riesige Landkarte von Südamerika, die Matthias dort aufgeklebt hat, sie bedeckt den gesamten Fußboden seines zwölf Quadratmeter großen Büros, und Elisabet sagt: Matthias, ich möchte es einmal in Peru tun. Dann ist die Welt so schön, dass es einem die Brust zerreißt, wenn sie das mit Feuer und Leidenschaft ausspricht. Vielleicht sagt sie es, wenn sie das schwarze Kleid trägt, das oben eng anliegt und unten weit ausschwingt; wenn sie das anhat, trägt sie darunter keinen Slip, nie, das weiß er. Arequipa, wispert sie später, denn Arequipa liegt gleich neben Matthias’ linkem Ohr, weil er nämlich dort auf dem Rücken liegt, während sie im Süden Perus in 2500 Metern Höhe kniet, und als er anfängt, den Kopf langsam zur Seite zu drehen, nimmt Elisabet ihn in ihre Hände und beugt sich so über ihn, dass ihr Haar ihre beiden Gesichter umgibt, und flüstert: Mein geliebter lieber Slawe!
Manchmal ist Elisabet auf dem Weg zum Astronomen, wenn sie im Lager vorbeischaut. Der hat sich diesen Winter einen neuen und leistungsstärkeren Computer angeschafft, wahrscheinlich den größten im ganzen Ort, und möglicherweise braucht man so viel Rechnerleistung, um den ganzen Himmel, Latein, den Weltuntergang und eine Ungarin darin unterzubringen. Jakob hupte, als er mit dem Computer auf der Ladefläche am Wellblechhaus vorüberfuhr, als wollte er ankündigen: Ich habe deinen Rechner mitgebracht. Jakob den Fernfahrer darfst du jetzt aber nicht mit dem anderen Jakob im Ort durcheinanderbringen, dem Junggesellen, der vor langer Zeit einen Arbeitsunfall hatte und seitdem von seiner Invalidenrente lebt, obwohl einige lästern, er habe gar nichts außer seiner Faulheit und einem unüberwindlichen Hang, lange zu schlafen und dafür bis tief in die Nacht Kreuzworträtsel zu lösen und komplizierte Puzzles zu legen oder von Haus zu Haus zu laufen, um eine Tasse Kaffee zu schnorren und Neuigkeiten und Klatsch aufzuschnappen. Er ist groß und kräftig, mit einem breiten, grobknochigen Gesicht, einer tiefen Stimme und mächtigen Pranken ausgestattet, eine solche Stimme hört man gern, sie flößt
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