Sommerliebe
Ilse so laut, daß die Leute in der Nähe auf sie aufmerksam wurden. »Heinz, was du treibst, ist eine Kette von Beleidigungen für mich!«
»Wieso?«
»Du stempelst mich zur Idiotin.«
»Das würde ich nie im Leben wagen, Ilse.«
»Dann sag mir, wer der war.«
»Das kann ich nicht.«
»Weil du ihn nie im Leben gesehen hast?«
»Ja.«
»Und das soll ich glauben?«
»Ja.«
»Ich bin doch nicht verrückt!«
»Sicher nicht.«
»Aber du bist verrückt, wenn du denkst, mich –«
»Daß ich verrückt bin, steht schon seit Tagen fest«, unterbrach er sie.
»So?«
»Verrückt nach dir«, spaßte er. Es war der Versuch, mit einem Scherz sozusagen das Thema zu entschärfen. Heinz lachte dazu auch und hoffte, das würde ansteckend wirken. Irrtum.
»Heinz!«
»Ja?«
»Du bleibst also dabei, daß du den nicht gekannt hast?«
»Das ist die Wahrheit, Ilse.«
»Und den nächsten, der kommt, kennst du auch nicht?«
»Ich kann ja nichts dafür, Ilse, daß es so ist.«
»Heinz, ich warne dich!«
»Ilse, bitte …«
»Ich warne dich, Heinz, ich lasse das nicht mehr länger mit mir machen. Ich spreche den nächsten, der kommt und dich grüßt, an und frage ihn, warum er das tut.«
»Ich bitte dich, Ilse –«
Es war schon zu spät. Zwar war es kein Mann, der ihnen entgegenkam und wieder grüßte, sondern eine alte Dame, aber gerade das erleichterte es Ilse, ihre Drohung wahrzumachen. Der Unmut, den Heinz in ihr geweckt hatte, verlieh ihrem Auftreten eine energische Note.
»Halt!« sagte sie zu der alten Dame, ihr in den Weg tretend. »Sie haben gegrüßt!«
Die Dame war natürlich erstaunt.
»Nicht Sie«, sagte sie. »Den Herrn in Ihrer Begleitung.«
»Warum?«
Das klang schärfer, als es Ilse meinte. Die alte Dame erschrak nun sogar und glaubte, beruhigend auf das junge Mädchen – ein etwas törichtes junges Mädchen, dem Anschein nach – einwirken zu müssen.
»Mein liebes Kind«, sagte sie, »Sie werden doch daraus keine falschen Schlüsse ziehen? Ich bin 63 Jahre alt und keine Konkurrenz für Sie.«
Ilse verspürte die Hand von Heinz an ihrem Oberarm.
»Komm, Ilse«, versuchte er sich bemerkbar zu machen, »gehen wir –«
Ilse erwies sich ihm gegenüber als taub. Sie beachtete ihn nicht und sagte zu der alten Dame: »Ich muß Sie trotzdem fragen, warum Sie ihn gegrüßt haben.«
»Herrn Bartel? Nun, als Zeichen meiner Anerkennung für ihn.«
»Herrn Bartel?« hakte Ilse ein. »Sie kennen ihn?«
»Wir alle kennen ihn seit gestern abend«, antwortete die alte Dame mit einem Lächeln, das ganz sicher nicht Ilse, sondern Heinz galt.
Ilse blieb dabei, nachzufragen.
»Seit gestern abend?«
»Ja, im Strandkasino.«
»Im Strandkasino?«
»Herr Bartel war der absolute Höhepunkt.«
»Der absolute Höhepunkt?«
»Mir scheint, Sie haben das gar nicht miterlebt?«
»Nein«, sagte Ilse, zwischen der alten Dame und Heinz hin und her blickend, »das habe ich nicht.«
»Schade für Sie, mein liebes Kind«, meinte die alte Dame. »Es war ein hohes Vergnügen.«
Mit ›hohes‹ wollte die alte Dame irgendwie das Hehre des Kunstgenusses zum Ausdruck bringen.
»Ich danke Ihnen für Ihre Auskunft«, erklärte Ilse. »Und entschuldigen Sie bitte meinen Überfall.«
An der nächsten Ecke begann die Auseinandersetzung mit Heinz.
»Ich dachte, ihr wart gestern abend zu Hause.«
»Das hat keiner von uns behauptet.«
»Du sagtest, ich hätte dich telefonisch in eurer Pension erreichen können.«
»Nach elf Uhr.«
»Um elf, sagtest du, bist du ins Bett gegangen und vorher nicht außer Haus gewesen.«
»Letzteres habe ich nicht gesagt.«
»Aber ich habe das als selbstverständlich angenommen, und du hast mich in diesem Glauben gelassen. Du hast mir nicht widersprochen.«
»Davon wurde doch überhaupt nicht gesprochen, mit keinem Wort.«
»Du warst also jedenfalls nicht zu Hause, sondern im Strandkasino?«
»Wir beide.«
»Ihr beide – ohne uns!«
»Ihr wart doch todmüde. Ihr wolltet nur noch schlafen, habt ihr gesagt.«
»Zumindest hättet ihr uns sagen können, was ihr noch vorhabt.«
»Ilse, das hatten wir nicht vor, sondern es hat sich überraschend ergeben. Wir wurden eingeladen.«
»Ins Strandkasino.«
»Ins Strandkasino, ja. Aus deinem Ton geht hervor, daß du mir nicht glauben willst.«
»Doch, doch«, beteuerte Ilse ironisch, »jedes Wort. Und seitdem kennen dich also alle?«
»Dafür kann ich nichts.«
»Nichts? War es nicht so, daß dein plötzlicher Bekanntheitsgrad davon
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