Sommerliebe
noch schwer im Magen.«
»Zweifellos, das war ein Fehler«, gab Rolf zu, beeilte sich jedoch fortzufahren: »Aber wer würde denn heute bei uns noch einmal an so etwas denken?«
Das Thema schien damit durchdiskutiert zu sein. Inge richtete an die beiden Männer die Frage, ob beim nächsten Je-ka-mi-ma-Programm nicht die Gefahr drohe, daß solche Leute, die schon einmal aufgetreten seien, dies ein zweites Mal bestimmt nicht mehr dürften.
»Das wäre ja noch schöner«, erwiderte Rolf.
Aber Bescheid wußte keiner. Für Heinz stellte sich die Frage sowieso nicht, da ihm jede Absicht, sich noch einmal auf die Bühne zu stellen, absolut fernlag.
Es fiel auf, daß Rolf, der, wie meistens, den Hauptteil der Unterhaltung bestritt, mehr und mehr dazu überging, dieser Rolle zu entsagen. Er wurde zerstreut, stockte mitten im Satz, räusperte sich, fing einen ganz neuen Satz an, verstummte. Das geschah immer, wenn ein hübsches Mädchen ihm entgegenkam oder ihn überholte. Um diese frühe Nachmittagszeit war der Weg nach Bansin sehr belebt. Je näher sie Neuhof kamen, desto entzückendere Mädchen kreuzten auf – und um so sparsamer und zerhackter wurde Rolfs Teilnahme am Gespräch, bis ihn Inge ermahnte: »He, ich bin auch noch da!«
»Süße«, beteuerte er sofort, »dir kann keine das Wasser reichen.«
»Und warum siehst du dann jeder anderen nach?«
»Um mir das immer wieder zu beweisen, daß du die absolute Spitze hältst.«
Kräftiger Geruch gebratenen Fisches wehte ihnen entgegen. Das Neuhofer Strandhotel lag vor ihnen.
Der Hauptandrang zur Mittagszeit war schon abgeebbt, trotzdem fand sich auf der Veranda noch immer kein freier Tisch. In einem der Hinterzimmer gab es aber reichlich Platz. Die vier gruppierten sich um den Tisch am offenen Fenster und ließen sich von einem freundlichen Kellner beraten. Dann mußten sie gar nicht lange warten, und jeder bekam seine Portion serviert, die von einem unglaublichen Ausmaß war.
Den allgemeinen Eindruck faßte Rolf in folgende Worte: »Wenn wir das gegessen haben, können wir uns nicht mehr von der Stelle rühren.«
Es stand also in Aussicht, daß sie alle nach dem Mahl noch eine Weile sitzen bleiben mußten. Und was geschieht in solchen Fällen? Es wird getrunken. Fisch muß schwimmen, heißt es schließlich ja auch so schön.
Heinz Bartel sah auf seinen Teller. Da lag eine herrliche Scholle. Schollen sind eine Delikatesse, besitzen leider aber auch die Eigenschaft, ziemlich viele Gräten zu haben. Kein Problem sind diese Gräten für einen, der die Zerlegung einer Scholle beherrscht, ein Hamburger also, ein Kieler, Lübecker, Stettiner, Heringsdorfer. Eine schier unlösbare Aufgabe stellt sich jedoch einem Kölner, der vor einer Scholle sitzt. Auch Berlinerinnen sehen sich da in der Regel zum Scheitern verurteilt. Ilse hatte sich aber ein Goldbarschfilet bestellt und Inge gekochten Kabeljau, so daß die zwei der allernächsten Zukunft mit weniger Sorgen entgegenblicken durften als Heinz. Die Wahl Rolfs war auf Schellfisch gefallen. Goldbarsch, Kabeljau und Schellfisch zeichnen sich dadurch aus, daß sie kaum Gräten haben.
»Du ißt Scholle?« hatte sich Ilse gewundert, als Heinz seine Bestellung beim Ober aufgegeben hatte.
»Warum nicht?«
»Scheust du denn die Gräten nicht?«
»Hat sie denn mehr als dein Goldbarsch?«
»Soviel ich gehört habe, ja. Deshalb habe ich mich auch für Goldbarsch entschieden.«
Auf ähnliche Weise waren auch die Bestellungen Inges und Rolfs zustande gekommen.
Heinz konnte es sich nicht verkneifen, den dreien eine kleine Belehrung angedeihen zu lassen, indem er sagte: »Ich habe gehört, daß Scholle etwas Exquisites ist, vor allem Ostsee-Scholle. Deshalb packe ich, wenn ich schon hier bin, die Gelegenheit beim Schopf. Ihr könnt euch ja mit eurem Allerweltszeug begnügen.«
Noch lieber hätte er gesagt: Allerweltsfraß.
Wenn Ilse nicht dabeigewesen wäre, hätte er das auch getan. Ihr wollte er aber nicht in dieser Weise nahetreten.
»Mahlzeit!« sagte Inge und fing an, ihrem Kabeljau zu Leibe zu rücken.
»Guten Appetit!« wünschte Ilse, dasselbe mit ihrem Goldbarschfilet beginnend.
»Laßt es euch schmecken«, meinte Rolf und ließ das erste große, durch und durch grätenlose Stück Schellfisch zwischen seinen Zähnen verschwinden.
Auch Heinz gedachte diesem Beispiel zu folgen, mußte es jedoch bei seinem Vorsatz bewenden lassen. Schon beim ersten Bissen glaubte er nämlich, plötzlich einen kleinen Igel im Mund
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