Sommerliebe
ihrer harrte. Als sie ihren Besuch bei Heinz antrat, galt ihre erste Frage seinem Befinden. Heinz machte den Fehler, daß er antwortete, es ginge ihm gut, ja geradezu hervorragend.
Das war zwar die Wahrheit, aber sie schien Ilse eindeutig übertrieben, und sie setzte Heinz dem Verdacht Ilses aus, daß er etwas bei ihr anpeile, und zwar verfrüht; verfrüht insofern, als ihm sein wahrer körperlicher Zustand solche Ausschweifungen noch nicht erlaube.
»Das freut mich sehr«, sagte sie, »daß du dich schon wieder so wohl fühlst.«
»Superwohl, Ilse.«
»Aber du darfst das nicht überschätzen.«
»Ich überschätze das nicht.«
»In Wirklichkeit bist du sicher noch hinfälliger, als du denkst.«
»Keineswegs, Ilse.«
»Oder als du glaubst, mir das sagen zu müssen, weil du mich beruhigen willst.«
»Ilse, ich versichere dir, ich könnte Bäume ausreißen.«
Er klopfte mit der flachen Hand, wie schon gewohnt, auf den Bettrand und fuhr fort: »Komm, setz dich zu mir.«
Seinen entscheidenden Fehler hatte er bereits gemacht, indem er Ilse nicht angezogen und am Tisch sitzend oder aus dem Fenster blickend erwartet hatte, sondern im Bett liegend. Gerade das war ihm als das Richtige erschienen, und gerade das wirkte sich für ihn schädlich aus, sah doch Ilse darin den ausschlaggebenden Beweis, daß sie es hier noch mit einem Patienten und nicht mit einem gesunden Menschen zu tun hatte.
Statt die von Heinz erbetene Sitzposition einzunehmen, gab sie deshalb nun frisches Wasser in die drei Blumenvasen, die inzwischen schon im Zimmer herumstanden. Inge ließe grüßen, erzählte sie dabei, und die Vorbereitungen auf das abendliche Hausfest in ihrer Pension liefen auf vollen Touren.
»Schade, daß du nicht dabeisein kannst«, sagte sie.
»Ich könnte das durchaus, wenn du mich dazu einladen würdest«, erwiderte er.
Ilses Antwort war folgenschwer.
»Bist du verrückt? Du bleibst im Bett!«
Endlich war auch in der dritten und letzten Vase das Wasser erneuert und Ilse ließ sich auf einen Stuhl am Tisch nieder.
»Warum setzt du dich nicht zu mir?« fragte Heinz.
»Weil das, denke ich, gestern ein Fehler war.«
»So?«
»Vermutlich hat das dazu beigetragen, daß du heute noch liegen mußt.«
Wie wahr – aber so ganz anders wahr, als Ilse dachte!
»Ich muß nicht mehr liegen«, stieß Heinz hervor. »Ich werde dir das gleich beweisen …«
Er schickte sich an, das Bett zu verlassen.
»Halt!« rief Ilse. »Wenn du das tust, zwingst du mich, meinen Besuch sofort abzubrechen!«
»Aber warum denn?«
Ilse erhob sich, erst dadurch hielt Heinz inne und steckte die Beine, die er schon halb aus dem Bett herausgeschwungen hatte, wieder unter die Decke. Langsam setzte sich auch Ilse wieder.
»Ich will in gar keiner Weise mehr dazu beitragen, daß deine rasche Wiederherstellung gestört wird – im Gegenteil.«
So zog sich das also hin; der ganze Nachmittag wurde zur Pleite, in den Augen von Heinz jedenfalls; es war einfach der Wurm drin, wie eine treffende Formulierung lautet.
Am Abend saßen Heinz und Rolf zusammen mit Annamirl und einem Mädchen namens Hanna in der Excelsior-Bar und lachten über Rolfs nicht gerade genialen Einfall, Annamirl kurz krankgeschrieben zu haben, damit sie ihrer Arbeit hatte entfliehen können. Hanna konnte ohnehin über ihren Abend verfügen, da sie tagsüber als Verkäuferin in einer Musikalienhandlung tätig war.
Das bot sich Rolf gleich als Stichwort dar. »Ich bin auch musikalisch«, teilte er den Mädchen mit. »Ich singe leidenschaftlich gern. Soll ich euch verraten, was mein Lieblingslied ist?«
Dabei blickte er Annamirl abwechselnd tief in die Augen und in den Ausschnitt ihres Kleides.
»Was denn?« fragte das Tirolerkind.
»›Auf der Alm, da gibt's keine Sünde …‹«
Dies in die richtige Dialektform zu gießen, vor allem also aus dem ›keine‹ ein ›koa‹ zu machen, war eine Aufgabe, der sich unter immer wieder aufbrandendem Gelächter Annamirl Geiselbrechtinger widmete. Nach einer halben Stunde mußte sie sich jedoch als gescheitert betrachten, gescheitert an Rolfs Zunge. Auch Heinz erwies sich als unfähig zu einem Wechsel von seinem rheinischen Singsang zu einem einigermaßen echt wirkenden, tief aus der Kehle aufsteigenden tirolerischen Krächzen. Die lustigsten Mißerfolge auf diesem Gebiet erzielte allerdings Hanna, die eine geborene Heringsdorferin war.
Als die beiden Mädchen zum erstenmal auf die Toilette gingen – und zwar gemeinsam, wie das
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