Sommerliebe
sagen?«
»Die sind alle verrückt.«
»Ich verstehe die Polen nicht.«
»Wieso?«
»Sie verlassen sich auf den Beistand der Engländer und Franzosen, aber ich frage dich, wie soll denn das gehen? Warten die auf Expeditionscorps? Bis die hinkommen, sind wir doch mit den Polen schon fertig.«
»Meinst du?«
»Davon bin ich überzeugt.«
Rolfs Schock über den Kriegsausbruch schien also schon Stunden danach wieder im Abklingen zu sein.
»Wo warst du eigentlich in der vergangenen Nacht? Dein Zimmer war leer«, fragte Rolf.
»Ich war mit Ilse zusammen.«
»Ja? Bei ihr?«
»Nein.«
Rolf wartete auf nähere Auskünfte. Als diese nicht kamen, blickte er Heinz an, sah ihm genau ins Gesicht, grinste plötzlich und sagte: »Mann, es hat also endlich geklappt! Ich gratuliere.«
Heinz wandte sich ab, sagte jedoch dann: »Ich muß hernach gleich zu ihr. Ich brauche nur noch ein paar Briefmarken von der Sneganas, um die ich sie gebeten habe. Sie wollte sie mir sofort bringen. Aber wo ist sie jetzt? Hat sie mich vergessen? Das ganze Haus hier spielt verrückt. Alles rennt durcheinander, nur du nicht, du sagst mir in aller Ruhe, daß die Polen in ein paar Tagen erledigt sein werden.«
»Wie war er denn?«
»Wer?«
»Na, dein jüngster Koitus?«
»Das geht dich einen Dreck an!« explodierte Heinz. »Habe ich dir eine solche Frage gestellt?«
»He!« setzte sich Rolf zur Wehr. »Jawohl, oft genug hast du das! Eigentlich jedesmal, die ganzen Jahre her. Oder willst du plötzlich abstreiten, daß das zwischen uns üblich war?«
Heinz sagte nichts mehr. Als er zu Ilse kam, erlebte er eine böse Überraschung. Sie war am Packen. Obwohl das mit dem ersten Blick zu erkennen war, fragte er sie überflüssigerweise: »Was machst du da?«
»Ich packe.«
»Willst du weg?«
»Selbstverständlich.«
»Wohin?«
»Welche Frage! Nach Hause!«
»Wann?«
»Mit dem nächsten Zug.«
»Aber du weißt doch gar nicht, wann der fährt.«
»Das läßt sich aus dem Fahrplan ermitteln.«
Ilse stand vor zwei Koffern; der eine war schon fertiggepackt und zugeklappt; in den anderen verstaute sie gerade Wäschestücke.
Heinz ging zu ihr hin, nahm sie in die Arme und drehte sie zu sich herum.
»Liebling«, sagte er, »vergiß vorläufig den Fahrplan. Wenn ein Krieg ausbricht, werden Züge und Strecken erst mal vom Militär gebraucht.«
Erschrocken sah sie ihn an.
»Woher weißt du das?«
»Das weiß ich zwar nicht«, erwiderte er, »aber ich kann es mir denken.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Wie komme ich dann nach Hause?« fragte sie ihn nervös. »Ich habe mit meinem Vater telefoniert. Meiner Mutter geht's schlecht. Ihr Herz, weißt du. Die fürchterliche Aufregung. Sie sorgt sich am meisten um mich. Ich sei in der Fremde allein, meint sie, in dieser entsetzlichen Zeit.«
»Du bist nicht allein«, sagte er mit warmer Stimme.
»Das weiß sie doch nicht, Heinz.«
Eine Weile standen sie da, Ilse mit dem Kopf an seiner Brust. Das Fenster war offen, die Gardine blähte sich im Luftzug. Ilse hörte ganz nah den Herzschlag ihres Geliebten. Heinz hielt sie an sich gepreßt. Wir sind eins, sagte ihnen ihr Gefühl, und dennoch hatte sich schon etwas zwischen sie geschoben seit der vergangenen Nacht in den Dünen, etwas Gewaltiges, vielleicht nie mehr zu Überwindendes – Krieg!
»Ich liebe dich«, sagte Heinz, »und ich werde dich immer lieben, mag kommen, was da will.«
Was würde stärker sein, diese Liebe oder der Krieg?
Ilse regte sich in seinen Armen.
»Wir müssen zum Bahnhof«, sagte sie, »und klären, wann ich fahren kann.«
Der Auskunftsbeamte, an den sie inmitten eines chaotischen Betriebes gerieten, konnte nur mit den Schultern zucken.
»Irgendwann im Laufe des heutigen Tages klappt's vielleicht«, meinte er. »Vielleicht auch erst morgen. Ich weiß es nicht.«
Ilse blickte ihn flehentlich an.
»Was soll ich machen?«
»Am besten setzen Sie sich in den Wartesaal – wenn's sein muß, bis morgen, dann verpassen Sie den Moment nicht, in dem eventuell plötzlich ein für Sie in Frage kommender Zug nach Berlin ausgerufen wird. Das ist mein Rat.«
Kein sehr erfreulicher Rat. Eher ein saurer Apfel, in den Ilse zu beißen hatte. Sie tat es. Was wäre ihr auch anderes übriggeblieben? Heinz blieb selbstverständlich bei ihr. Sie fanden zwei Plätze in einer Ecke des Wartesaales, wo sie verhältnismäßig ungestört waren. Als sie saßen, eingeschlossen von Ilses Koffern, die ihnen als kleiner Schutzwall gegen
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