Sommermond
ließen sich von der Sonne baden und kommunizierten ohne Worte. Ben war froh, einen Freund wie Peer zu haben. Es tat ihm fast leid, dass er dessen Gefühle nicht erwidern konnte. Umso dankbarer war er, dass Peer ihnen ihre Freundschaft ließ. Diese zu verlieren war bis vor wenigen Minuten seine größte Angst gewesen. Er hatte Peer gern, genoss die Zeit mit ihm und war froh, dass ihnen in Zukunft noch weitere zur Verfügung stehen würde.
„Danke“, murmelte er deshalb zum zweiten Mal an diesem Tag.
Peer strich ihm als Antwort über den Rücken und schaffte es dabei – wie immer – Ben von den Gedanken abzulenken, die er sich bezüglich der anstehenden Fahrt nach Hamburg machte. Er hatte keine Ahnung, wie Alex auf ihn reagieren würde. Doch darüber konnte er sich auch später Gedanken machen. Jetzt zählte erst mal der besondere Augenblick, den er sich gerade mit Peer teilte, und der beiden verdeutlichte, wie wichtig es war, einen guten Freund zu haben.
***
„Hast du dein Waschzeugs?“, rief Bens Mutter aus dem Bad.
„Ja–ha!“, rief Ben zurück.
Er hörte, wie sie in den Flur huschte und den Reißverschluss seiner Tasche aufzog. Genervt stöhnte er auf und trat aus dem Zimmer. Seine Mutter hockte vor seinem Gepäck und legte eine seiner Jeans zusammen.
„Was machst du denn da?“, fragte er und klang gereizt. „Bei dem Wetter braucht doch kein Mensch lange Hosen!“
„Und abends, wenn es kälter ist, und bei Regen?“, entgegnete seine Mutter.
Sie beugte sich vor und schob die Jeans zwischen ein Buch und einen Stapel T-Shirts.
Ben beobachtete sie und verdrehte die Augen. Er hasste es, in einer derartigen Art und Weise bemuttert zu werden. Doch andererseits musste er sich eingestehen, dass es schon viele Momente gegeben hatte, in denen er ohne seine Mutter aufgeschmissen gewesen wäre. Vermutlich war auch die aktuelle Situation einer dieser Momente, an die er sich in ein paar Tagen kopfschüttelnd erinnern würde, während er die Jeans aus seiner Tasche ziehen würde, um sich für schlechtes Wetter einzukleiden.
Er wollte sich gerade abwenden, um den restlichen Kram in seinem Zimmer zusammenzusuchen, als er etwas Zerknittertes in der linken Hand seiner Mutter entdeckte. Er trat einen Schritt nach vorn und deutete auf das Papier.
„Was ist das?“, fragte er.
Seine Mutter hielt sofort inne, schielte auf ihre Hand und versuchte das, was sie hielt, vor Ben zu verbergen.
„Ach, nichts …“, tat sie ab.
„Nein“, erwiderte Ben. „Das ist nicht nichts.“ Er ging noch einen Schritt näher. „Also? Was ist das?“
Seine Mutter wirkte einen kurzen Moment bedröppelt, bevor sie ihre Hand öffnete und Ben den besagten Gegenstand entgegenstreckte. Der nahm das verwaschene Papier an, wendete es einmal und seufzte gleich darauf auf. Das Stück Papier in seiner Hand war das Foto von Alex, das er sich aus dessen Album geborgt hatte. Seit langer Zeit hatte er es schon gesucht und nirgends gefunden. Jetzt verstand er auch, warum.
„Es tut mir leid“, entschuldigte sich seine Mutter. „Ich habe es damals versehentlich mitgewaschen“, erklärte sie. „Und danach muss es mir hinter die Waschmaschine gerutscht sein. Ich habe es eben erst wiedergefunden.“
„Mum …“, stöhnte Ben. „Ich hab‘ das überall gesucht! Warum hast du nie was gesagt?“ Er stockte und betrachtete den blonden Alex auf dem Foto, wie er mit Sam an seiner Seite glücklich in die Kamera lächelte, dazwischen lauter weiße Knickspuren. „Aber in diesem Zustand kann ich’s ihm sowieso nicht zurückgeben.“
„Um ehrlich zu sein“, erwiderte seine Mutter, stützte ihre Hände auf die Knie und richtete sich auf, „sollte das Foto deine kleinste Sorge sein.“
„Wie meinst du das?“, fragte Ben.
Er ahnte, worauf seine Mutter hinauswollte. Seine Eltern hatten ihn die ganzen letzten Tage von der Entscheidung abbringen wollen, noch einmal nach Hamburg zu fahren. Sie begründeten ihre Bedenken mit ihrer Angst um Ben. Immerhin hätten sie ihn bei dessen letzten Besuch der Hafenstadt fast verloren. Doch Ben ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er hatte diese Entscheidung gefällt und wollte sie durchziehen. Es war schon alles geklärt. Er und Jo hatten ein paar Mal telefoniert und alles Weitere besprochen. Jo hatte immer sehr sachlich geklungen, doch Ben hatte herausgehört, dass der Architekt ihm dankbar dafür war, dass er sich noch einmal mit seinem Sohn auseinandersetzen wollte. Jo selbst war nicht dazu
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