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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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stand da und seufzte laut. Er war überfordert. Er war gerade erst angekommen und wurde nun mit derart vielen Eindrücken überhäuft, dass sein Verstand die Notbremse zog. Er bekam Kopfschmerzen und wurde müde. Der Tag war anstrengend gewesen. Erst die Packerei in Flensburg, dann die Fahrt und die Begegnung mit Alex und nun das Gespräch mit Jo, das die aktuellen Umstände in ein vollkommen neues Licht rückte. Das war zu viel für ihn.
    „Können wir bitte morgen weiterreden?“, fragte er deshalb.
    Jo sah besorgt zu ihm auf.
    „Ist alles in Ordnung?“, fragte er.
    „Ja“, erwiderte Ben. „Ich bin einfach nur müde und muss erst mal über alles nachdenken.“
    Jo nickte. „Du kennst ja dein Zimmer.“
    Er wirkte verständnisvoller, als Ben ihn je erlebt hatte, seit er mit Alex zusammen gewesen war. Dieses Verhalten kannte er nur noch aus der Zeit vor seiner Beziehung zu dem Blonden. Damals war Jo um ihn bemüht gewesen, hatte ihn behandelt wie seinen eigenen Sohn. Doch dann hatte er Ben die Schuld an Alex‘ Neigungswechsel gegeben und ihn diesbezüglich seine Verachtung spüren lassen.
    Ben beugte sich vor und wollte nach seinem Glas greifen, um es wegzubringen.
    „Lass stehen!“, warf Jo ein. „Ich mach das. Ruh du dich aus!“
    Ben nickte und lächelte gezwungen. Er wollte nur höflich sein. Er wandte sich um und schritt zur Tür. Dort blieb er noch einmal stehen.
„Was ist eigentlich mit der Kripo?“, fragte er. „Auf welchem Stand sind die?“
    „Auf dem gleichen wie wir“, entgegnete Jo.
    „Heißt das, die wissen von deinen Vermutungen?“
    Jo zuckte mit den Schultern. „Ich habe leider keinerlei Beweise. Kommissar Wagner und ich haben uns noch ein paar Mal getroffen. Natürlich weiß er, was in meinem Kopf vorgeht.“
    „Und was sagt er dazu?“, fragte Ben.
    „Einmal ist er Alex überraschend begegnet und hat ihn getestet. Er stellte ihm unangenehme Fragen … bezüglich seiner Frisur und so weiter.“
    „Und?“, hakte Ben nach.
    „Du kennst Alex“, erwiderte Jo. „Ich hätte ihn damals in eine Schauspielschule stecken sollen.“
    Dieser Kommentar ließ Ben kurz schmunzeln.
    „Und bei seiner schriftlichen Aussage?“, fragte er dann weiter. „Ist der Polizei da noch irgendwas aufgefallen?“
    Jo schüttelte den Kopf. „Er hat nur das wiedergegeben, was wir schon wussten. Kein Hinweis auf neue Drohungen oder Verstrickungen.“
    Ben hielt kurz inne und dachte an die Szene am Pinnasberg zurück. Mittlerweile wirkte sie fremd auf ihn. Gäbe es nicht die Narben an seinem Oberkörper, würde er vermutlich glauben, sich das Ganze nur eingebildet zu haben. Gleichzeitig erinnerte er sich an all den anderen Mist, den Alex verzapft hatte: der tote Student aus Diegos Wohnung und der Einbruch. Sollte einer dieser Tatbestände ans Licht rücken, stände es schlecht um Alex. Da war er sich sicher.
    „Erwartet Alex eigentlich irgendeine Strafe?“, fragte er und war bemüht, neutral zu klingen.
    „Ja“, antwortete Jo. „Eine Geldstrafe wegen seiner Teilnahme an diesem … diesem Kartenspiel.“
    „Pokern“, half ihm Ben.
    Jo nickte. „Genau das.“
    „Da hat er wohl Glück gehabt“, erwiderte Ben.
    Dass diese Aussage zweideutig war, wusste nur er.
    „Hoffentlich hat er dieses Mal genauso viel Glück“, entgegnete Jo.
    Ben sah zu ihm herüber. Er war erstaunt über Jos väterliches Verhalten und suchte nach dem Haken. Doch als er keinen fand, schloss er daraus, dass es entweder keinen gab oder Jo erst am nächsten Tag mit der ganzen Wahrheit herausrücken würde.
    „Gute Nacht“, verabschiedete er sich schließlich.
    „Gute Nacht“, erwiderte Jo.
    Ben warf ihm noch einen letzten Blick zu und beobachtete, wie Jo nach seinem Glas Wasser griff und den Inhalt leer exte, als handelte es sich um nervenbetäubenden Alkohol. Dann drehte Ben sich um, durchquerte den Flur und schritt zu seiner Tasche. Sie stand neben der Treppe und sah mehr nach Abreise als nach Ankunft aus. Ben griff nach ihren Henkeln. Ihn durchzogen Zweifel. Auf eine seltsame Art und Weise fühlte es sich falsch an, die Treppe hinaufzugehen. Am liebsten hätte er sich einfach umgedreht, wäre zum Ausgang gestürmt und zurück nach Flensburg gefahren. Dorthin, wo Freunde wie Peer auf ihn warteten, die ihn in seinem hart erarbeiteten Optimismus unterstützten.
    Als er die Villa vorhin betreten hatte, war es ihm vorgekommen, als wäre er radikal in die Vergangenheit zurückkatapultiert worden. Jetzt befand er sich wieder in

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