Sommernachtsschrei
braucht Mut… Halt die Klappe, zischte ich meiner nervenden inneren Stimme zu.
Leonies höhnisches Lachen tat mir weh. Nicht nur in meinen Ohren. Auch in meinem Herzen. Sie war doch meine Freundin.
»Du machst dir nichts aus Maurice? Das glaubst du doch selbst nicht!« Sie lächelte verächtlich.
Ich muss gehen, bevor sie alles zerstört, was zwischen uns ist, dachte ich und wollte mich erheben.
»Moment!« Sie baute sich vor mir auf, breitbeinig, die Arme in die Seiten gestemmt, wie die Henkel einer griechischen Amphore.
»Du lügst! Ich hab gesehen, wie er dich angestarrt hat. Und wie du ihn angestarrt hast, mit diesem Leuchten in den Augen!« Mit giftigem Blick sah sie auf mich herunter.
»Was für ein Leuchten?«, fragte ich müde.
»Komm schon, Franziska Krause, hör auf, hier einen auf naiv zu machen, ja!«
Dass sie Franziska Krause sagte, verletzte mich. Plötzlich war ich wieder die Fremde, deren ganzen Namen man sagen musste, damit auch klar war, wer gemeint war. Ich wurde wütend. »Was ist, hast du ihn für dich reserviert?« Ich stand auf und sie wich einen halben Schritt zurück.
Ihre Augen wurden schmaler und plötzlich packte sie mich an den Oberarmen, schüttelte mich und schrie: »Du hast ja so einen miesen Charakter! Du nimmst dir alles, bedienst dich einfach!« Sie wurde lauter. »Sieh dich doch mal an! Du bist nichts, nichts, gar nichts!« Ihr Gesicht war knallrot angelaufen.
»Lass mich los!«, brachte ich heraus, schockiert, enttäuscht und wahnsinnig wütend. »Lass mich verdammt noch mal los!«
Als hätte ich ein Zauberwort benutzt, ließ sie augenblicklich von mir ab, ihre Züge entspannten sich und plötzlich lächelte sie mich entschuldigend an. »Ich hab’s nicht so gemeint, Ziska. Entschuldige, ich… ich… ich hab einfach die Nerven verloren!« Plötzlich brach sie in Tränen aus.
Ich traute ihr nicht, immerhin hatte ich gerade erlebt, wie schnell sie von null auf hundert war. So sah ich sie nur weiterhin skeptisch an und überlegte, ob dieser Auftritt mit der Band mein erster und letzter gewesen sein sollte.
»Komm schon, bitte«, schluchzte sie, »vergessen wir’s einfach, ja? Weißt du, ich will nicht, dass du dir was aus ihm machst. Er hat so einen miesen Charakter! Kaum, dass er jemanden sieht, ist die andere auch schon vergessen. So ist er. Deshalb hab ich ihn auch links liegen lassen. Bitte, Franziska, du musst mir glauben.«
Ich dachte noch, dass sie sich dafür aber ziemlich über die Blume gefreut hat, sagte es aber nicht. Unsere Freundschaft war mir zu viel wert, als dass ich sie jetzt wegen dieses blöden Streits aufs Spiel setzen wollte. Und womöglich hatte sie auch mit Maurice recht. Was wusste ich schon über ihn? Ich kannte ihn ja nicht. Um genau zu sein, hatte er heute das erste Mal mit mir gesprochen. Die ganze Zeit über hatte er mich nicht beachtet und kaum, dass ich auf der Bühne stand und ein Lied sang, schenkte er mir Blumen. Ja, wahrscheinlich hatte Leonie wirklich recht.
»Okay, vergessen wir den Typ!«, sagte ich und als Leonie mich wieder anlächelte, fühlte ich mich erleichtert.
Doch Maurice gab nicht auf und ich – ich vergaß die Szene mit der Blume nicht.
11
Leonie steuert den Mercedes die Seitenstraße zum See hinunter, parkt auf dem mit weißem Kies bestreuten kleinen Parkplatz, auf dem zwei Autos stehen. Ein roter Mini und ein großer dunkelblauer Van. Die Plastiktüte lasse ich im Fußraum. Ich hab sie zwar nicht gebraucht, aber mir ist immer noch fürchterlich übel.
Wir steigen aus, nehmen links den Feldweg. Verstohlen werfe ich einen Blick auf den Baumstamm. Ja, die Kerbe, die die Stoßstange und das Heck hinterlassen haben, ist deutlich zu sehen. Ein tiefer Knick im Stamm, eine Verletzung der Jahresringe, denke ich. Für immer wird dieses Ereignis dort eingegraben sein.
Leonie dreht sich zu mir um, sagt aber nichts, obwohl sie bestimmt weiß, wo mein Blick gerade hingewandert ist. Wir haben nie wieder darüber geredet.
»Mist, ich hätte meine anderen Schuhe anziehen sollen!«, flucht Leonie und stakst über die Furchen, die ein schwerer Wagen oder ein Traktor in die regennasse Erde gedrückt hat. Ganz trocken ist der Weg noch immer nicht.
Wir biegen ab und gehen über die Wiese hinunter zu den Bäumen, die das Ufer säumen. Eine schmale, geteerte und öffentlich nicht zugängliche Straße führt dort zum Bootshaus.
Wie still es plötzlich ist. Kein Vogel ist mehr zu hören, kein Auto, kein Geräusch vom See. Dort
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