Sommernachtszauber (German Edition)
erst mal verdauen. Was hatte Ben ihr da erzählt? Caroline probte mit einem
Geist?
Einem jungen Mann, der 1935 erstochen worden war. Sie lachte kurz auf, denn er hatte recht: Das war einfach irre. IRRE.
Sie sprang auf und trat an das Seefenster. Mia stand ganz still und sah hinaus auf die nun ruhig und dunkler werdende Natur. Die Sonne ging gerade unter. Die letzten Ausflugsboote steuerten ihren Hafen an und das Wasser funkelte noch einmal mit aller Kraft. Doch kühle Nebelschwaden zogen bereits von der Mitte des Sees zum Ufer hin.
Mia bekam eine Gänsehaut. Alles dort draußen schien zu atmen und zu leben.
Alles war beseelt,
schoss es ihr durch den Kopf. War da Bens Geschichte wirklich so irre? Nein. Es gab Geister für die, die an Geister glauben wollten. Gehörte Caroline dazu?
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Früher hatte sie an Wassermänner geglaubt, die bei Vollmond auf ihrem Rasen tanzten. Elfen, die den Tau von den Rosenblättern in den Beeten ihres Großvaters schlürften. Sie selbst hatte doch als Kind unter den Geisterlichtern der Theater, an denen ihre Eltern arbeiteten, mit Puppen gespielt.
Vor gar nicht so langer Zeit hatte sie sich sogar an Séancen versucht. Zu ihr war jedoch kein Geist gekommen, weder gut noch böse, doch die Erinnerung daran gab ihr eine Gänsehaut. Die Dunkelheit, der runde Tisch, die Kerzen und das Glas auf der Spielkarte. Sie hatte ganz deutlich gespürt, dass jemand oder etwas kommen
könnte.
Sie drehte sich um, verschränkte die Arme und ihr Blick blieb an ihrem Bücherregal hängen. Da stand die DVD von
Ghost
wie auch die des
Phantom der Oper
. Da standen alle
Twilight
-Bände in der englischen Originalausgabe. Plötzlich machte alles Sinn.
When Life imitates Art,
dachte Mia bitter. Kein Zweifel. Alles war beseelt.
Caroline probte also mit einem Geist. Nein: mehr als das. Er formte sie und gab ihr die Tiefe, die die Rolle der jungen Julia so schwierig machte. Aus irgendeinem Grund glaubte sie Ben diese Wahnsinnsgeschichte. Mia dachte an das Vorsprechen am
Bimah
vor ein paar Wochen, als Caro noch nicht mal gewusst hatte, was ein Geisterlicht ist.
Vielleicht ist die Lampe am Bimah seit den Dreißigerjahren nie ausgegangen? Ein faszinierender Gedanke!
Tatsächlich, dachte Mia ironisch. Ein faszinierender Gedanke. »Ohne ihn kann ich nicht sein«, hatte Caroline zu Ben gesagt. Und Ben damit so sehr geschockt und verletzt, dachte Mia und wurde doppelt wütend auf Caroline. Warum gelang ihr das alles so einfach? Das sollte sich ändern.
Jetzt war sie an der Reihe!
»Augen zu«, sagte Mia konzentriert. »Der Lidstrich soll am Samstag zur Premiere schließlich sitzen und das muss ich üben. Sind schließlich nur noch fünf Tage! Der Countdown läuft.«
»Samstag schon«, murmelte Caroline mit gehorsam geschlossenen Lidern. »Das ging so schnell vorbei. Mir flattern ganz schön die Nerven. Simone hat mir die Liste mit Einladungen und Zusagen auf ihrem iPad gezeigt. Das wird ein richtiges Schaulaufen.«
»Und, bist du bereit? Schaffst du es?«, fragte Mia und tauchte ihren Pinsel erst in Wasser und dann in dunklen Lidschatten, als wäre es Wasserfarbe. Für echte Katzenaugen taugte flüssiger Eyeliner nicht. Da mussten schwerere Geschütze aufgefahren werden.
Sie zog mit ruhiger Hand eine Linie von Carolines innerem Augenwinkel hoch zu ihrer Lidfalte und dann mit einem kühnen Schwung beinahe bis hin zur Schläfe. Am Vorabend hatte sie auf irgendeinem Kanal einige Minuten
Kleopatra
gesehen, die Fassung mit Liz Taylor. Der Film war unerträglich und die Taylor zu fett, aber ihr Make-up war Weltklasse. Davon hatte sie sich inspirieren lassen.
»Ich bin bereit«, sagte Caroline. »Glaube ich zumindest.«
»Hast du Lampenfieber?«
Caroline schien ein Lächeln zu unterdrücken. Was war denn so verdammt lustig?, dachte Mia mürrisch, doch beherrschte sich. Caroline antwortete: »Lampenfieber? Ja. Und wie.«
»Augen auf.«
Caroline gehorchte.
»Cool. Julia trifft Kleopatra«, sagte Mia, ehe sie Carolines gesamtes Lid sorgfältig mit dunkelblauem Lidschatten färbte. Mit Carolines dunklen Haaren sah es Wahnsinn aus, musste sie zufrieden zugeben. Wie ein Pfauenschwanz.
»Wie gehst du damit um? Hilft dir Carlos?«
»Carlos? Kaum«, lachte Caroline kurz.
»Wer dann? Michi? Deine Mutter? Mit mir sprichst du ja kaum noch …«
»Mia, verzeih.« Caroline schlug die Augen auf und legte ihre Hand auf Mias Unterarm. »Das war keine
Weitere Kostenlose Bücher