Sommernachtszauber (German Edition)
sortierte: »Welches Projekt Bimah denn? Das Stück hier, meinst du?«
»Nein, alles hier, du weißt doch …«, begann die Rothaarige, aber Mia unterbrach sie.
»Ben van Behrens? Ehrlich? Ich habe ihn bei den Proben zu War Horse gesehen. Der Mann hat eine Präsenz und ein Charisma, sage ich euch! Unglaublich für so einen jungen Schauspieler, meint mein Vater. Kennst du ihn, Caroline?«
»Seinen Namen, ja, aber mehr nicht. Ich habe ihn im Fernsehen gesehen, aber noch nie live.« Sie verknotete die festgezurrten Miederbänder. »So, fertig.«
»Wenn er Romeo ist, dann vergesse ich in seiner Gegenwart meine Rolle«, sagte Mia.
»Das möchte ich mal erleben, dass du wegen eines Typs irgendwas vergisst. Bist du fertig? Dann lass uns gehen. Ich habe Lampenfieber.«
»Quatsch. Wenn du auf die Bühne gehst, verwandelst du dich immer komplett. Das ist ja das Besondere an dir.«
Mia und Caroline drückten sich kurz und fest. Es tat gut, die Freundin hier zu haben, fand Caroline. Neid hatte es zwischen ihnen nie gegeben, dazu waren sie zu verschieden. Wenn schon, dann ergänzten sie sich!
»In meiner Passage hat Romeo eh nichts zu suchen. Nur die Amme und Julias Mutter, die ich mir alle beide vorstellen muss«, sagte sie.
»Ich lese dir die Amme, wenn du willst«, bot Mia an.
Caroline lachte. »Bingo. Die steht in meiner Szene nur stumm herum.«
»Bingo allerdings. Das kann ich besonders gut«, grinste Mia.
Caroline war als Vorletzte dran, denn Carlos ging beim Vorsprechen alphabetisch vor. Das kannte sie schon. In der Schule hatte sie auch immer warten müssen, bis S an die Reihe kam. Wenigstens ging es Mia nicht viel besser – mit ihrem Nachnamen Weiss kam sie heute als Letzte dran. Sie lehnten nahe beieinander in den Kulissen und sahen den anderen Mädchen beim Vorsprechen zu.
Im Theater herrschte konzentrierte Stille und im Dämmerlicht auf dem leeren, von Wasserflecken dunklen und von vielen tausend Füßen abgescharrten Parkett saßen Carlos und seine Assistentin auf Klappstühlen. Diese Improvisation war hier nicht fehl am Platz, entschied Caroline. Abgesehen davon, dass etliche Stühle fehlten, hing auch der blaue Samtvorhang in Fetzen, auf der Bühne fehlten Bretter und einige sahen morsch aus.
»Ganz schön versifft hier«, flüsterte sie Mia zu. »Ich dachte, das wäre nur von außen so runtergekommen!«
Mia nickte. »Ne, leider nicht. Das Gebäude hat ganz schön gelitten. Carlos steht vor einer Riesenaufgabe. Von den Kritiken zu seinem Romeo und Julia hängt für das Bimah alles ab …«
»Wie meinst du das?«
»Kann denn nicht mal Ruhe sein in den Kulissen? Wir arbeiten hier, meine Damen«, polterte Carlos und Caroline zuckte zusammen. Mia legte sich den Zeigefinger auf die Lippen und lächelte verschwörerisch. Ihre Julia war mit den knallroten Lippen, einem weißen Rippenhemdchen und dem dunklen Jeans-Mini entschieden modern.
Mia bemerkte Carolines prüfenden Blick und flüsterte: »Rock ist Rock, oder?«
»Sicher. Rock ist Rock«, wisperte Caroline zurück. Mias Selbstbewusstsein war immer wieder beeindruckend.
Caroline lehnte sich gegen die Kulissen, doch deren morsches Holz knackte bedrohlich. Sie schreckte zurück. Überall lag Staub, viele der Schiebewände waren brüchig und die blass gewordene Farbe blätterte von ihnen ab. Von einer kleinen Lampe, die neben dem Bühnenaufgang über ihrem Kopf überraschend hell brannte, zogen sich dichte Spinnweben, in denen fette tote Fliegen hingen. Es war eine Lampe, die an Deck eines Schiffes nicht fehl am Platze gewesen wäre.
»Warum brennt denn das kleine Licht da drüben?«, flüsterte Caroline.
»Die Funzel? Das ist ein Geisterlicht«, flüsterte Mia.
»Was ist denn ein Geisterlicht?«
Mia sah sie erstaunt an. »Kennst du den alten Aberglauben nicht?«
»Nein. Nicht jeder hat vier Generationen von begnadeten Schauspielern im Rücken. Was ist das?«
»Stimmt. So was bringen sie einem an der Schauspielschule nicht bei. In jedem Theater brennt nachts ein Licht, damit die Geister des Hauses ihre Stücke aufführen können. Es darf nie ausgehen. Sonst sind die Geister gebannt und es kommt Unglück über das Haus.«
»Echt? Das wusste ich nicht.«
»Vielleicht ist die Lampe im Bimah seit den Dreißigerjahren nie ausgegangen? Ein faszinierender Gedanke!«
»Nur, wenn Geister auch Glühbirnen wechseln! Was heißt Bimah eigentlich?«, fragte Caroline.
»Das ist Hebräisch für Bühne. Das Haus war vor dem Zweiten Weltkrieg in jüdischem
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