Sommernachtszauber (German Edition)
einige Strähnen aus der Stirn, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten.
Carlos wiegte den Kopf. »Nicht schlecht. Mir gefällt, wie du an ihrem Verhältnis zum Vater arbeitest. Distanziert und doch nahe. Aber da muss noch mehr rein, Caro. Viel mehr, okay? Ja, es ist ihre erste, glühende Liebe, die sie für Romeo empfindet, aber unsere Julia hat dennoch beide Füße auf dem Boden, oder nicht? Jetzt setzt sie alles aufs Spiel: ihre gesellschaftliche Stellung und die Liebe ihrer Eltern, um Romeo zu folgen. Weshalb? Wieso so schnell? Was geht da vor? Wie fühlt sie? Was denkt sie? Das muss alles in einem Wort, in einer Geste liegen. Nicht einfach – ich weiß. Aber denk mal darüber nach. Vielleicht vertraut sie ihm absolut …? Kannst du an diesem Vertrauen arbeiten?«
Johannes wusste, wie diese Worte ankamen, wenn man gerade alles gegeben hatte. Caroline nickte niedergeschlagen. Sie wirkte wie ein aus dem Nest gefallenes Vogeljunges. Umso mehr wollte er sie in die Arme schließen und ihr Kraft geben. Sie musste noch unter den Nachwehen des Gesprächs über die Liebe leiden. Carlos war so grausam, wie ein guter Regisseur es sein musste. Bei der Bühne war es wie beim Militär: Man brach die Schauspieler, um sie dann neu aufzubauen.
»Mach ich«, sagte Caroline schließlich mit zusammengebissenen Zähnen.
Ben sah sie kurz und ermutigend von der Seite an, doch sie bemerkte es nicht.
Gut so, dachte Johannes grimmig. Plötzlich begriff er den Grund für seine Abneigung gegen Ben. Er hatte alles, was ihm fehlte: Leben. Gegenwart. Zukunft. Und er konnte einfach so neben Caroline sitzen und sie anlächeln. Sie sah ihn und wusste, dass es ihn gab. Ganz im Gegenteil zu ihm selbst.
Am Ende des Tages sahen alle erschöpft aus. Im Foyer verabschiedeten sie sich voneinander, doch Klaus schwang sich eine Sporttasche über die Schulter. »Wollen wir noch bei mir grillen? Ich hab eine kleine Dachterrasse und es ist so ein schöner Abend. Richtig Berlin. Kommst du auch mit, Caro?«
»Nein danke. Ich will noch mit Carlos sprechen.«
»Der kommt auch. Wir werfen den Grill gleich erst an. Das dauert also alles noch. Komm doch nach …«
»Vielleicht, okay? Lass mir doch bitte die Adresse da.«
Caroline winkte den anderen nach und wartete im Foyer. Sie lehnte sich an eine der Wände und ließ die Schultern hängen. Als Carlos und Simone kamen, schnellte sie auf.
Das gefiel Johannes. Sie wollte sich keine Blöße geben, die Gedanken über die Liebe hin oder her. Caro hatte tief unten das Zeug zu einer ganz Großen.
»Nanu, du bist ja noch da? Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?«, fragte Carlos erstaunt.
»Nein danke. Aber ich möchte dich um etwas bitten.«
»Um was denn?«
»Das klingt jetzt vielleicht albern, aber kann ich einen Schlüssel zum Bimah haben?«
»Warum denn das?«
Caroline zuckte leicht mit den Schultern. »Ich möchte herkommen können, wann ich will. Zum Üben. Hier zu sein, gibt mir andere Kraft und andere Inspiration, als wenn ich bei mir zu Hause vor dem Spiegel probe. Ich muss ja nicht nur meine Worte lernen, sondern auch, mit dieser Bühne und dem Saal umzugehen.«
Er zögerte mit seiner Antwort. »Hm, ich weiß nicht … eigentlich hatte ich mit der Stadt vereinbart, den Schlüssel allein zu verwalten.«
»Carlos, ich rauche nicht in den Kulissen und veranstalte keine Orgien. Versprochen! Ich will spielen . Nur für mich, bis ich selbst zufrieden bin. Ich will – gut sein. Besser als gut. Ausgezeichnet. Ich will euch alle umhauen!«
Er presste kurz die Lippen zusammen und überlegte, schüttelte dann aber doch den Kopf. »Lieber nicht. Sei mir nicht böse. Wenn was passiert, dann zahlt die Versicherung nicht. Spießig, aber wahr. Ich habe hier einfach schon zu viel am Hals. Und jetzt komm doch mit zum Grillen, okay? Wenn du Freunde im Ensemble haben willst, ist es eine gute Idee, gleich heute damit anzufangen. Du brauchst sie. In den nächsten Monaten sind wir deine Welt. Du wirst nicht viel Zeit für anderes haben.«
»Okay, Carlos.« Johannes hörte die bodenlose Enttäuschung in ihrer Stimme.
Carlos ging, doch seine Assistentin Simone drehte sich in der Tür noch mal nach Caroline um, die mutlos ihren Text in ihre Umhängetasche steckte.
»Ich finde, du hast das heute fantastisch gemacht. Aus deinem Mund klingt das alles so – modern. Es ging mir richtig unter die Haut«, sagte Simone.
»Danke.« Caroline lächelte zaghaft.
»Ich meine es ernst. Und jetzt bis später.«
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