Sommernachtszauber
gehört hätten, und einen reichlich desinteressierten Eindruck gemacht – die meisten hatten gemeint, er sei bestimmt auf Stellensuche und sie solle sich keine Sorgen machen.
Joss, die sich aber sehr wohl Sorgen machte, ging mit ihrem Tee in den Garten. An die makellose Terrasse grenzte ein ordentliches Rasenrechteck mit zurückgeschnittenen Rosensträuchern an den Ecken und einem Bottich mit Stiefmütterchen in der Mitte – gepflegt und fade. Aus dem Nachmittag wurde ein sonnendurchfluteter Abend, und die anderen Bungalows warfen Schatten auf den Rasen, die aussahen wie schlummernde Elefanten.
Für den Fall, dass die Kinder zurückriefen, wollte sie sich nicht zu weit vom Haus entfernen. Sie hatte ihnen Nachrichten auf den Anrufbeantwortern hinterlassen. Joss warf einen hoffnungsvollen Blick auf das Nachbarhaus – vielleicht kam Val ja früher nach Hause? Pridmores waren mit ihrer ältesten Tochter nach Hazy Hassocks zum Tee ausgegangen, wohl eher ein Abendessen, vermutete Joss. Es würde wahrscheinlich spät werden, denn Valerie und ihr Mann ließen die Abende meistens im Barmy Cow ausklingen. So trank sie ihren Tee, und ihre Beunruhigung steigerte sich allmählich zu leiser Panik.
Als das Telefon klingelte, hatte sie es so eilig, an den Apparat zu gehen, dass sie sich Tee auf die Hände und den Rock spritzte.
»Mutter?« Tillys Stimme klang argwöhnisch. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja – ich meine, nein. Wie gesagt, ich mache mir Sorgen um deinen Vater.«
»Wie lange ist er schon weg?«
»Na ja, ich bin kurz nach eins zu einem Vorstellungsgespräch -«
»Wo bist du hin?« Tilly lachte. »Du bewirbst dich um einen Job? Wieso?«
»Das spielt keine Rolle«, fauchte Joss gereizt. »Ist jetzt unwichtig – außerdem habe ich die Stelle, und als ich zurückkam, war dein Vater weg. Dabei hatte er nicht mehr das Haus verlassen, seit -«
»Du hast einen Job?« Tilly klang, als könne sie es gar nicht glauben. »Du? Was ist denn das für eine Stelle?«
»Als Sekretärin. Hör mal, Tilly, das ist jetzt nicht wichtig -« Natürlich war es das, aber nicht in diesem Moment. »Wichtig ist, dass ich mir seinetwegen Sorgen mache. Wenn er bei dir auftauchen sollte oder dich anruft, dann lass es mich doch bitte wissen, ja?«
»Ja, sicher, aber -« Tilly klang, als wollte sie gleich loslachen. »- wie kommst du zu einer Stelle als Sekretärin? Du bist doch gar nicht qualifiziert -«
»Für die fragliche Stelle bin ich vollkommen qualifiziert. Ich fürchte, dein Vater war vielleicht deprimiert, weil ich nach Arbeit suchte und er fürchtete, an Autorität zu verlieren und -«
»Dad wird schon klarkommen«, sagte Tilly. »Ossie und ich verstehen das besser als du. Wenn er weggefahren ist, dann wahrscheinlich, um Kontakte zu pflegen und sich wieder ins Geschehen einzuklinken. Wahrscheinlich fand er, die Zeit sei nun reif.«
»Warum hat er mir denn dann nichts gesagt und mir nicht einmal eine Nachricht hinterlassen?«
»Aber Mutter …« Tilly schlug einen tadelnden Ton an. »Denk doch mal nach. Warum sollte er dir eine Nachricht hinterlassen? Es besteht doch gar keine Veranlassung, sich Sorgen zu machen. Er hat einfach Zeit gebraucht, um in die neue Situation hineinzufinden und Pläne für die Zukunft zu entwickeln. Ich denke, das wird er ja wohl getan haben.«
Was er getan hat, dachte Joss müde, war, mir das Leben zur Hölle zu machen und den ganzen Tag lang fernzusehen – aber das sprach sie nicht aus. »Du meinst also nicht, dass ich die Polizei oder die Krankenhäuser anrufen sollte?«
»Nur, wenn du dich zum Gespött machen willst und möchtest, dass Dad bei seiner Rückkehr vor Wut ausrastet. Er ist ja erst ein paar Stunden fort. Bestimmt kommt er zum Abendessen wieder nach Hause, du wirst schon sehen.«
Und Tilly legte auf. Dann klingelte das Telefon gleich noch einmal, diesmal war Ossie dran, der praktisch dasselbe sagte, mit nahezu denselben Worten.
Joss, die aber immer noch fand, sie sollte Marvin als vermisst melden, saß eine Zeit lang nervös vor dem Fernseher, machte Bohnen auf Toast zum Abendessen, rief die nervtötend geschwätzige Topsy an, um das Treffen mit Freddo am kommenden Dienstag in die Wege zu leiten, und starrte um elf Uhr abends noch immer aus dem Fenster, in der Erwartung, dass Marvins Wagen in die Auffahrt einbog.
Als Joss schließlich vor ihrem Ankleidetisch saß, das Make-up entfernte und sich die Haare bürstete, sagte sie müde zu sich selbst: »Ach Marvin, wo zum Teufel
Weitere Kostenlose Bücher