Sommerprickeln
nämlich Masons Trikot … »Glückstrikot«, hatte er es immer genannt.
Im ersten Frühling nach ihrer Verlobung waren sie nach Atlanta gefahren, um sich das erste Heimspiel der Braves in der neuen Saison anzusehen. Mason kaufte Annajane eine Schirmmütze und sich selbst ein Trikot, aber ihre Mannschaft hatte schnell die Power verloren, und im siebten Inning waren sie gegangen, da die Braves schon 8–0 zurücklagen. Sie fuhren in ihr billiges Hotel unweit des Stadions und nahmen sich vor, den Rest des Spiels in ihrem Zimmer anzusehen. Dazu kam es nicht. Auf Masons Bitte hatte Annajane ihm das Trikot vorgeführt und einen langsamen Striptease hingelegt, und Mason hatte ihre Vorstellung mit nicht jugendfreien Kommentaren begleitet. Den Rest des Sommers hatte sie das Trikot fast jedes Mal beim Sex für ihn angezogen. Sein Glückstrikot hatte nichts mit Baseball, sondern nur mit Sex zu tun.
Sie hätte es verbrennen sollen.
Ja. Klar.
Mason spürte Annajanes Unentschlossenheit.
Er hielt ihr die Autoschlüssel unter die Nase und klimperte verführerisch mit ihnen. »Ich stehe draußen vor der Tür. Komm, Annajane, denk nicht lange nach! Wir fahren einfach ein bisschen rum, ja?«
»Ach, was soll’s …« Sie hatte noch die ganze Woche Zeit zum Packen. Es war, wie Mason gesagt hatte, ein wunderschöner Abend. Sie steckte ihr Handy ein, nahm ihre Schlüssel und ging durch die Tür. Mason folgte ihr. Schnell sperrte Annajane hinter ihm zu, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
Annajane wischte Spinnweben vom Armaturenbrett. »Wow«, sagte sie. »Wann bist du denn das letzte Mal mit dem Teil gefahren?«
Mason bog von der Main Street in die Seventh Avenue, vorbei an einigen kleinen Geschäften, aber auch mehreren zugenagelten Ladenlokalen.
Die leerstehenden Gebäude zu sehen, machte ihn traurig. Er kannte den Namen jedes einzelnen Geschäfts in der Straße. Sein Vater war Kunde der Eisenwarenhandlung gewesen, seine Mutter hatte die Schuhe der ganzen Familie immer im Fashion Shoe Shop gekauft, dessen Namen sie für einen Witz hielt, weil die Besitzer kein bisschen Ahnung von Mode hatten. Die Drogerie Cline gab es noch, aber als Mason das letzte Mal im Laden gewesen war, hatten die Regale eher wie ein Museum gewirkt. Seine Familie hatte immer Wert darauf gelegt, bei diesen Geschäften einzukaufen, weil die Besitzer Nachbarn und Freunde waren. Passcoe ging es schlecht, genau wie es Quixie schlechtging. Mason mochte gar nicht daran denken, was geschähe, wenn es Quixie nicht mehr gäbe.
»Mason?« Annajane schnippte mit den Fingern vor seinem Gesicht. »Ist da jemand?«
»Tut mir leid«, sagte er und kehrte in die Wirklichkeit zurück. »Hab die alte Dame schon seit Monaten nicht mehr gefahren«, gab er zu. »Hatte ziemlich viel zu tun. Und Celia kann den Wagen nicht ausstehen. Sie weigert sich, darin mitzufahren. Deshalb steht er in der Garage in der Firma.«
»Aber du hast den Wagen immer geliebt«, sagte Annajane. »Was kann man denn an einem klassischen Cabrio nicht ausstehen?«
»Sie findet, er sieht aus wie eine Zuhälterkutsche«, erklärte Mason. »Und sie bemängelt, dass er keine Klimaanlage hat.«
»Hm«, machte Annajane. Sie legte einen Arm ins offene Fenster und lehnte den Kopf gegen die Stütze. »Und, wo wollen wir hin?«
»Ich dachte, wir fahren raus zur Farm«, schlug Mason vor.
Die Cherry-Hill-Farm war kein richtiger Bauernhof mehr, schon nicht mehr seit Sallies Vater, Sam Woodrow, in den achtziger Jahren gestorben war und die Familie die letzten Rinder und Pferde verkauft hatte. Zuletzt hatte Annajane gehört, dass das alte Bauernhaus als Heulager für die Kühe des Pächters genutzt werde.
»Hört sich gut an«, sagte sie.
Mason schob eine Kassette ins Fach, und Walk This Way dröhnte aus den Lautsprechern.
»Mötley Crüe?« Annajane verdrehte die Augen.
»Aerosmith!«, korrigierte Mason und tadelte sie für ihr Unwissen. »Such mal unter deinem Sitz herum und guck, ob du was anderes findest«, sagte Mason.
»Manchmal höre ich Aerosmith ganz gerne. Nur nicht heute Abend. Hast du nichts … Ruhigeres?«
Mason griff nach hinten auf die Rückbank und zog ein altes Lederetui hervor, das er ihr auf den Schoß fallen ließ. »Hier. Such dir was aus.«
Vorsichtig öffnete Annajane das Etui. »Gut, mal sehen, ob du immer noch die alten Laster hast! Led Zeppelin, Santana, Blue Oyster Cult. Hab ich’s doch gewusst. Warst du überhaupt schon auf der Welt, als diese Bands Musik
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