Sommerrot
wieder verschwunden und seinem gewohnt düsteren Blick gewichen. Vielleicht hat er irgend eine geistige Krankheit, schießt es mir durch den Kopf. Ich entschließe mich kurzerhand dieses Wechselspiel der Emotionen zu ignorieren und lieber über die Sache zu reden.
« Wie meinen sie das, mit Kreativität?»
« Zum Beispiel füllt das Großraumbüro der Techniker das gesamte Stockwerk unter uns aus. Wenn wir es leer räumen, steht uns schon einmal ein riesiger Saal für die Präsentation zur Verfügung. Wir werden die Mitarbeiter überzeugen müssen, dass sie uns dabei helfen, den Saal auszuräumen und zu dekorieren. Statt dem Catering könnte jeder Mitarbeiter eine selbstgemachte Spezialität mitbringen. Oder meinen sie das wäre zu viel erwartet?»
« Nein, das glaube ich nicht. Aber damit die Mitarbeiter auch etwas davon haben, könnten wir das Event als Feier für die Mitarbeiter ausweiten, sobald die Kunden gegangen sind.»
« Ja, gute Idee! Und ich denke auch an eine kreative Präsentation – nicht so trocken mit Folien, sondern etwas lebendigeres.»
« Wie wäre es, wenn einige Mitarbeiter selbst das Programm spielen, wie in einem Theater. Die Personen stellen dann die einzelnen Komponenten der Abläufe und des Programms dar und dann kommen sie als der Finanzchef einer Firma und jubeln über die Kosten- und Zeitersparnis.»
« Ich sehe, sie sind nicht nur klug, sondern auch kreativ, Frau Sommer!»
Sein strahlendes L ächeln bringt mich dieses mal völlig aus der Fassung und ich versuche, die wild umher flatternden Schmetterlinge in meinem Bauch niederzukämpfen. Ich sehe noch, wie sich Tino auf die Unterlippe beißt, bevor er sich wegdreht. Das Kompliment ist ihm offensichtlich gegen seinen Willen entwichen, als er wohl für einen Augenblick vergessen hatte, wüten auf mich zu sein. Immerhin weiß ich jetzt, dass der liebenswürdige Tino noch immer irgendwo in ihm steckt und vielleicht kann ich ja hoffen, dass er mit der Zeit langsam wieder zum Vorschein kommt.
Es wird fast sechs Uhr, bis die Planung f ür das Event steht. Außer Tino und mir befindet sich niemand mehr im Büro. Wider Erwarten verläuft unsere Zusammenarbeit mit ihm trotz seiner andauernden Stimmungsschwankungen außerordentlich gut. Wir haben in kürzester Zeit alle Details einer kompletten Strategie ausgearbeitet, wie wir die Firma retten können. In zwei Wochen wird die Veranstaltung, von der alles abhängt, stattfinden.
« Ich muss jetzt aber langsam los!», bemerke ich mit einem Blick auf die Uhr.
« Mit dem Fahrrad?»
Seine Stimme klingt kritisch.
«Ja!»
Ich zucke mit den Schultern. Was st ört ihn daran.
« Ich kann sie fahren!», bietet er mir an, aber nicht ohne mich düster anzusehen.
« Und wie komme ich dann morgen zur Arbeit?»
« Wir packen das Fahrrad in den Kofferraum.»
Ich gebe mich geschlagen und nicke.
«Danke!»
« Mh, sie können ja schon mal runter fahren und das Fahrrad holen, ich komme gleich nach.»
Ich mustere ihn mit einem Stirnrunzeln. Ich werde das Gef ühl einfach nicht los, dass er nur wieder vermeiden möchte, mit mir im Fahrstuhl zu stehen. Er verschwindet in seinem Büro und ich packe meine Sachen zusammen. Ich stehe bereits mit meinem Fahrrad vor seinem Auto, als sich Tino nähert. Wortlos packt er mein Rad und versenkt es im Kofferraum. Es passt nicht ganz hinein, so dass er den Deckel mit einer Schnur befestigen muss. Wir fahren los und ich fühle mich seltsam beklommen neben ihm. Ich verschränke meine Arme und kämpfe gegen meinen inneren Drang an, ihn anzustarren, ihn zu berühren, ihn zu …. Halt! Schlag ihn dir aus dem Kopf, Lena! Er tut dir nicht gut! Wir haben mein Haus erreicht und Tino steigt aus, um mein Fahrrad auszupacken. Die Sonne steht bereits tief am Himmel und wirft lange Schatten. Als ich nach dem Fahrrad greifen will, befindet sich seine Hand noch in Bewegung, so dass ich ihn unbeabsichtigt berühre. Wir zucken gleichzeitig zusammen, als hätten wir uns verbrannt und ziehen die Hände zurück. Das Fahrrad knallt zu Boden.
« Entschuldigung!», presst Tino hervor und hebt das Rad wieder auf. Dieses mal schaffe ich es, ihn nicht anzufassen, als ich das Fahrrad nehme.
« Danke, nochmal!», bringe ich heiser hervor, «Bis Morgen!»
« Bis Morgen, Frau Sommer!»
Seine Gegenwart w ühlt mich dermaßen auf, dass ich mich beeile, mit dem Fahrrad in der Garage zu verschwinden. Als ich heraustrete und zur Eingangstür gehe, bemerke ich, dass sein BMW noch immer an der
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