Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
hielt. Dann sah sie zum Fenster, hinter dem die andere Elon schwebte und sie entschlossen musterte. Und obwohl sich von diesem Moment an alles rasend schnell abspielte, fühlte es sich für Arrow wie im Zeitraffer an.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Bon, der mit Kenan zusammen zum Brunnenrand geeilt war.
Arrow wagte nicht, ihren Blick von der anderen Elon zu nehmen. Wie in Trance reichte sie dem Riesen, was sie aufgelesen hatte.
„Ein Apfel“, flüsterte er mit erhellter Miene.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Kenan stutzig.
„Dass dein Wunsch vielleicht früher erfüllt wird, als wir alle es gerade noch für möglich gehalten haben“, entgegnete Bon. Und während Arrow aus dem Wasser über den Brunnenrand sprang und durch den Schlosseingang lief, zögerte er keine Sekunde, ihr zu folgen. Blitzschnell hatte er sich in eine Kröte verwandelt, denn die Sonne erstrahlte hell an jenem Tag.
Mit einem einzigen Blick wies Arrow den General an, ihr zu folgen. Kaum dass sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, öffnete sie ihr Medaillon und entließ Whisper in die Freiheit. Mit einem Sprung saß sie auf. Der Rappe setzte sich augenblicklich in Bewegung und galoppierte so schnell auf den Wald zu, dass die anderen Mühe hatten, mitzuhalten.
Die Bäume flogen an Arrow vorbei und obwohl die klare Sicht an jenem Tag deutlich erkennen ließ, dass sich viele der Riesen in unmittelbarer Nähe befanden, blendete sie ihre Anwesenheit zum ersten Mal vollkommen aus. War das wirklich möglich? Konnte es tatsächlich sein, dass das Band geknüpft war und sie bereit waren zusammenzuarbeiten? Dass sie verstanden hatten, worum es ging? Und das nach so kurzer Zeit?
Schon bevor sie die Lichtung erreicht hatte, erblickte sie zwischen den Ästen der toten Bäume eine ungewohnte Farbenpracht. Sie leuchtete in unterschiedlichen Nuancen und der Wind trug einen Klang an ihr Ohr, den sie vor einem Jahr zum letzten Mal vernommen hatte, das Rascheln satter, grüner Blätter.
Mit einem sanften Ziehen brachte sie Whisper zum Stehen und blickte gebannt auf das, was sich vor ihr befand. Die Lichtung existierte nicht länger, sondern wurde nun von ausgewachsenen, Früchte tragenden Apfelbäumen bestanden. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass ihr solch ein Anblick mal die Sprache verschlagen könnte. Es fühlte sich an, als träumte sie und ebenso dumpf wie in einem Traum nahm sie auch wahr, dass der General mit seinen Männern und Bon angekommen war.
„Ich habe die falsche Entscheidung getroffen“, flüsterte sie wie gebannt. Dann wandte sie sich an Bon und sagte: „Du musst umgehend nach Abaläss aufbrechen und ihnen sagen, dass sie kommen sollen, und zwar alle.“
Die Kröte nickte ihr zu, machte kehrt und sprang dann, so schnell sie konnte, davon.
Wendepunkt
Mein geliebter Sohn,
endlich ist der Zeitpunkt gekommen, auf den wir alle so lange gewartet haben. Die Geister sind nun bereit, auf die anderen zu treffen, und ich fiebere mit allergrößter Spannung dem Moment entgegen, an dem es passieren wird. Heute erst haben wir nach jenen geschickt, die nicht mit uns hierhergekommen sind, und ich rechne damit, dass sie nicht lange auf sich warten lassen. Ihr Einzug in Nebulae Hall bedeutet einen großen Schritt in Richtung Zukunft. Aber es bedeutet auch, dass ich endlich deinen Vater wiedersehen werde. Zu wissen, dass wir diese Mission nun doch gemeinsam zu Ende bringen werden, lässt mich aufatmen. Manchmal denke ich, dass es sich so anfühlen muss, wenn unser Volk sich nach einer Wiedervereinigung sehnt. Ohne die andere Hälfte ist man nicht vollkommen und obgleich es nicht mein Geist ist, der eine Lücke in meinem Herzen hinterlassen hat, fühle ich mich dennoch unvollständig, wenn dein Vater nicht an meiner Seite ist. Doch zu wissen, dass das Warten bald ein Ende hat, lässt mein Herz höher schlagen.
Doch aller Freude zum Trotz gibt es noch andere, die mir am Herzen liegen und um die ich mich sorge. Sie sind aufgebrochen, um Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen, und mit jedem Tag, an dem ich nichts von ihnen höre, gewinnt die Angst in mir an Stärke. Es ist eine Qual, auf ihre Nachricht zu warten, denn die Gedanken an sie lassen mich nicht los. Vor allem die Tatsache, dass wir erst vor nicht gar zu langer Zeit eine treue Freundin verloren haben, macht es sehr viel schlimmer. Manchmal fürchte ich, auch die anderen nie wiederzusehen. Dann zwinge ich mich, diese Befürchtungen von mir fortzuschieben um meinen Kopf
Weitere Kostenlose Bücher