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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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sehe, wie die Gäste erst skeptisch schauen, dann
jedoch immer wieder kommen, um mehr Schokolade zu kaufen. Ich erwarte, dass sie
jeden Moment eine dampfende Tasse hinter ihrem Rücken hervorholt, gefüllt mit
dickflüssiger Schokolade, doch sie nickt uns nur zu, und Jan setzt schon an,
etwas zu sagen, da geht sie an uns vorbei in die Bar und stellt die Holzkiste
mit den Miesmuscheln auf dem Tresen ab. Der Geruch nach Meer zieht hinter ihr
her, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil ich es schön fände,
hier mitten im Dorf den Meeresgeruch zu riechen. Sie gibt dem Kellner ein
Zeichen, dass er die Holzkiste wegräumen soll, dann dreht sie sich um und kommt
wieder zu uns nach draußen.
    Julie steht auf und Jan sagt, »Das ist Camille, ihr gehört die Bar
du Matin, und das hier ist Juno.« Camille hat rote Wangen wie ein junges
Mädchen, das noch nicht mit dem Rougepinsel umgehen kann. Sie schüttelt mir
lächelnd die Hand, küsst mich drei Mal zur Begrüßung, als würden wir uns schon
lange kennen.
    Das Boot stehe unten, sagt Camille auf Französisch. Sie
steckt sich eine Zigarette an und geht voraus. Wir gehen über die Promenade,
vorbei an den Familien, die Mütter packen die Getränke aus der Kühltasche aus,
verteilen die geschmierten Brote an Mann und Kind, legen die Sonnencreme bereit
und prüfen, ob der Stoffhut mit der breiten Krempe noch sitzt.
    Das Meer wirft nur kleine Wellen, die sich langsam Richtung Strand
schieben. Wir sind barfuß und weichen scharfen Muschelkanten und zerrupften
Möwenfedern aus, wir weichen dem Wasser aus, das unsere Fußspuren sofort wieder
verschwinden lässt. Julie und Camille reden miteinander so schnell auf
Französisch, dass Jan und ich völlig ausgeschlossen sind. Unter »Vorstellen«
stelle ich mir etwas anderes vor.
    Wir kommen zu einem kleinen, betonierten Steg. Links und rechts von
uns zähle ich die fest verschlossenen, mannsgroßen Holztüren in Blau, Rot und
Türkis, die im Beton eingelassen sind, alte Metallstreben halten sie fest, der
Rost hat dicke, nach unten hin auslaufende Spuren auf dem Holz hinterlassen.
Vor manchen wächst wetterfestes Unkraut. Camille schließt die erste Tür auf,
gemeinsam mit Jan zieht sie ein kleines Boot heraus.
    Wir leihen uns ihr blaues Fischerboot, ein schlichtes Boot wie aus
einem französischen Film, zwei schmale Bänke, zwei Paddel.
    ICH KANN NICHT VERSTEHEN ,
was meine Mutter ruft. Ich sitze auf der Wiese vor unserem Haus, die Sonne
scheint durch die Baumkronen und ein leichter Wind streicht über die Blätter.
Ich schnitze an einem Stock. Meine Mutter rennt an mir vorbei, ich hebe den
Kopf, sie hat ihre Hausschuhe an, eine lange, braune Strickjacke, eine Tasche
über der Schulter. Ich spüre einen Schmerz in der Handfläche, da ist Blut,
hellrot, ein feiner Schnitt entlang der Lebenslinie, der langsam breiter wird.
Meine Mutter rennt an mir vorbei, mein Vater antwortet ihr nicht, ich sehe ihn
nicht. Meine Mutter steigt in unseren Kombi und startet ihn, ein bisschen Dreck
wirbelt auf, als sie anfährt. Sie fährt nach hinten, bremst, fährt nach vorne.
Die Mittagssonne reflektiert auf dem Heck und dann ist das Auto nicht mehr zu
sehen, ich strenge meine Augen an und kneife sie zusammen, aber ich sehe nur
noch die Hecke, den goldenen Weizen dahinter, in der Ferne den Wald.
    Das Blut ist auf mein Kleid getropft, ein pflaumengroßer, roter
Fleck. Auf meinem Oberschenkel spüre ich Feuchtigkeit, ich lasse den Stock und
das Messer im Gras zurück, die Tür von der Terrasse zum Wohnzimmer hat meine
Mutter offen gelassen.
    Mein Vater sitzt in der Küche und guckt aus dem Fenster. Vor ihm auf
dem Tisch steht ein Teller mit Nudeln, daneben der Topf mit der Soße und ein
Schälchen mit Parmesan, meine Mutter und ich haben vorhin schon zu Mittag
gegessen, ich war so satt, dass ich fast beim Schnitzen eingeschlafen wäre.
Mein Vater hat den Teller nicht angerührt. Ich gehe zu ihm und schlinge die
Arme um seinen Hals, schmiege meinen Kopf an seine Brust, er ist warm. Mein
Vater drückt mich. Ich löse mich von ihm, ein kleiner roter Fleck bleibt auf
seiner Schulter zurück, ich versuche, ihn mit der Hand wegzustreichen.
    Als meine Mutter zurückkommt, ist es draußen schon dunkel.
Ich warte in der Küche, durch das Fenster sehe ich etwas entfernt die
beleuchtete Straße Richtung Stadt. »So behalten

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