Somnambul Eliza (German Edition)
Surrealisten
um André Breton auf Aloysius Bertrand und priesen ihn als einen „Surrealisten
der Vergangenheit“. Über den Surrealismus schließlich fand Eliza den Weg zu
Bertrand und seinem Gaspard de la nuit .
Das erste Klavierstück trug den Titel Ondine . Bertrands literarische Vorlage handelte vom
nächtlichen Besuch einer Wassernixe, die sich in einen sterblichen Mann
verliebt und ihn bittet, ihr in ihre poetische Wasserwelt, in ihren
phantastischen Meerespalast zu folgen, um ihr Gemahl zu werden. Doch er liebt
eine Sterbliche und die Nixe vergeht ähnlich der Echo im Narziss-Mythos in
Tränen und Gelächter und schließlich im Regen, der am Fenster herabströmt.
Kannte man die Handlung, konnte man jedes dieser Bilder in der Musik Ravels
wiedererkennen. Kongenial fing der junge Pianist die Stimmung der nächtlichen
Traumvision ein und Eliza meinte das melodische, verführerische Murmeln der
Meerjungfrau ebenso zu vernehmen wie die schillernde Verheißung ihrer
schäumenden, plätschernden Heimat und schließlich ihre Auflösung im
Klangschleier des gegen die Fensterscheibe prasselnden Regens.
Das zweite Stück war nach dem Poem Le Gibet benannt, das schon bei Bertrand wenig
zugänglich war und dessen Vertonung Eliza ähnlich ratlos zurückließ, wie es
auch das Gedicht getan hatte.
Mit Scarbo folgte das letzte Stück des Abends, das die Geschichte eines Zwerges erzählte,
der das lyrische Ich nachts im Schlaf heimsuchte und dann seinen mal mehr, mal
weniger bösen Schabernack trieb. Er tanzte, machte Lärm und wuchs einmal im
Schein des Mondes zu monströser Größe an, bis er im größten Moment des
Wahnsinns plötzlich verschwand. Das Gedicht hatte auf Eliza eine äußerst
beklemmende und beängstigende Wirkung gehabt und diese nervöse Unruhe eines
surrealen Traumgebildes wurde in Ravels Stück auf atemberaubende Weise umgesetzt.
Der rumpelstilzchenhafte Tanz des Kobolds, die
schaudernde Ungewissheit des Schlaftrunkenen, ob das Ungeheuer tatsächlich
verschwunden war oder in einer Ecke des dunklen Raumes auf seinen nächsten
Angriff wartete, die hysterischen Schreie des Gepeinigten waren auf bildhafte
Weise vor Elizas geistigem Auge präsent und formierten sich zu Johann Heinrich Füsslis Schreckensvision vom Nachtmahr, den sie so oft im
Goethehaus in Frankfurt gesehen hatte. Unheilvoll ruhige Phasen wechselten mit
einem hysterisch wirkenden, grotesk, fiebrigen Stakkato der Anschläge ab und
verloren sich dann in der Ungewissheit über die Wiederkehr des Alps.
Eliza hatte schaudernd Valerius Hand
ergriffen und er hatte seinen Arm um sie gelegt, sie fest an sich gedrückt und
sie aufs Haar geküsst.
„Hab keine Angst, Eliza. Ich wache jede
Nacht über deinen Schlaf und kein Nachtmahr wird es wagen, dich heimzusuchen“,
flüsterte er in ihr Ohr und sie fragte sich, wie er ihre Assoziation hatte
erraten können. Sie schmiegte sich an ihn und in seiner Umarmung wandelte sich
der Schrecken zum wohligen Schauder, den man genießen konnte, wie man
Gruselgeschichten am Kamin genoss.
Der junge Pianist erhielt verdient
ausgiebigen Applaus und musste mehrmals aufs Podium zurückkehren, um sich vom begeisterten
Publikum feiern zu lassen.
„Hat sein Spiel auch deinen Geschmack
getroffen?“ fragte Eliza Valeriu im Hinausgehen.
„Ich fand ihn wunderbar. Ich habe Ravel
selten so federleicht und gleichzeitig so präzise interpretiert gehört.“
Eliza beobachtete, wie seine schönen
bunten Augen leuchteten und ihr ging durch den Kopf, wie glücklich sie sich
schätzen konnte, einen Mann an ihrer Seite zu haben, der bereit war, sich von
der Kunst, sei es die Musik oder die Malerei, derart ergreifen und bezaubern zu
lassen. Das Strahlen in seinen Augen war ansteckend.
Laurin und Aurica
gingen einige Schritte vor ihnen und so fragte sie ihn: „Ich wüsste trotzdem
noch gern, woher du wusstest, woran ich beim letzten Stück denken musste.“
Valeriu blieb stehen und schaute sie mit
einem zauberhaften, amüsierten Lächeln an, das ein klein wenig Überheblichkeit
signalisierte, aber gleichzeitig viel zu charmant wirkte, als dass sie es ihm
hätte übel nehmen können.
„Ich konnte spüren, dass du die Gedichte
von Bertrand kanntest.“
Sie schaute ihn fragend und etwas
verständnislos an.
„Deine Reaktionen haben es verraten. Du
hast die Geschichten, die die Musik erzählte, so gespannt verfolgt, als würden
sie dir mit Worten erzählt. Und Scarbo hat dir Angst
gemacht.“
„Ja, das stimmt. Ich habe
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