Somnambul Eliza (German Edition)
mich schon
immer vor Zwergen, Gnomen und Kobolden gefürchtet. Findest du die Vorstellung
der nächtlichen Besuche solch schauderhafter Wesen nicht unheimlich?“
„Doch. Die Vorstellung von bösen Zwergen
mit runzligen Gesichtern und gelben Zähnen finde ich auch höchst abstoßend.
Aber bin ich in deinem Leben nicht auch einer dieser rätselhaften nächtlichen
Besucher?“
Ehe Eliza ihm eine Antwort geben konnte,
hatten sie die Garderobe erreicht und reihten sich hinter Aurica und Laurin ein, um ihre Mäntel in Empfang zu nehmen. So blieb
Eliza nur, Valeriu mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln zu signalisieren,
dass sie den Vergleich zwischen ihm und irgendeinem Kobold höchst unzutreffend
fand.
Als sie in die kalte Nachtluft
hinaustraten, schlug Aurica vor, den Abend noch bei einem Drink in der Lutz-Bar
ausklingen zu lassen.
Eliza
war schon einmal mit ihren Kolleginnen hier gewesen. Es handelte sich um eine
hochmoderne Cocktail-Bar mit hippem Launch-Charakter und riesigen
Panoramafenstern, durch die man einen fantastischen Blick auf das nächtliche
Wien hatte. Musik, Ambiente und Publikum bildeten einen größtmöglichen Kontrast
zum Konzert und doch waren sie in ihrer festlichen Abendgarderobe hier nicht
fehl am Platze. Eliza versank regelrecht in dem überbreiten Clubsessel, die
Cocktails waren großartig und die Bedienung für einen so trendigen Ort
überraschend zuvorkommend und diskret. Sie unterhielten sich noch eine Weile
über das Klavierkonzert und über Ravel im Allgemeinen, wobei sich
herausstellte, dass Elizas drei Begleiter, im Gegensatz zu ihr, echte
Klassik-Kenner waren, doch keiner von ihnen erging sich in Fachsimpeleien oder strich auf andere Weise Elizas Defizite in diesem Bereich heraus. Im Gegenteil
waren sie begierig darauf, etwas mehr über Bertrands Lyrik zu erfahren. Eliza
erzählte, auf welchen Umwegen sie zu Bertrand gekommen war und welche
erstaunlichen Verknüpfungslinien sich im Bereich der Phantastik über Epochen
und ganze Jahrhunderte hinweg auftaten. Aurica und Laurin erwiesen sich wie Valeriu als glühende Verehrer der Romantik, besonders der so
genannten schwarzen Romantik, die sich mit den Nachtseiten der menschlichen
Seele befasste und deren vielleicht prominenteste Vertreter E.T.A. Hoffmann und
Edgar Alan Poe waren.
Doch plötzlich wurde ihre angeregte
Unterhaltung jäh unterbrochen.
„Sieh an, der Herr Baron und sein
Sekundant mit ihren entzückenden Damen!“ übertönte eine kräftige Stimme mit
französischem Akzent die ruhige, harmonische Atmosphäre des intellektuellen
Gesprächs. Eliza zuckte beim Klang dieser Stimme unwillkürlich in ihrem Sessel
zusammen und auch alle anderen wandten sich abrupt dem Sprecher zu, als habe er
sie aus einem Traum gerissen. Vor Kopf des Tisches stand mit theatralisch weit
zum Gruß ausgebreiteten Armen René, flankiert von zwei langbeinigen, blonden
Gespielinnen, die höchstens Anfang Zwanzig waren, ihren Begleiter dafür aber um
mindestens zwanzig Zentimeter überragten.
„Darf ich Platz nehmen?“
Ohne Valerius eisiges „Bitte“ und seine
einladende, wenn auch reduzierte Geste abzuwarten, ließ sich René in dem
einzigen freien Sessel vor Kopf nieder, was seine beiden blonden Freundinnen
zuerst zu einem verunsicherten Blicktausch und dann zu der stillen Übereinkunft
veranlasste, sich wenig bequem, aber dafür äußerst effektvoll, links und rechts
von ihm auf den Lehnen seines Sessels zu platzieren.
„Wie lange ist es her, dass wir alle
vereint gewesen sind, meine Freunde? Darauf müssen wir unbedingt trinken!“
Renés Lächeln war so künstlich und
beunruhigend, wie Eliza es ihm in ihrem Traum angedichtet hatte. Während sein
Mund zu einem breiten Lächeln verzogen war, funkelten seine Augen kalt und
diabolisch. Er trug ein schwarzes Hemd mit offenem Kragen zur ebenfalls schwarzen
Hose und sein volles dunkles Haar war wieder nach hinten gekämmt, wie bei einem
Mafioso.
„Was führt dich für einen mehrwöchigen
Aufenthalt nach Wien, René? Kann deine Pariser Kanzlei so lange auf deine
Anwesenheit verzichten?“ fragte Valeriu leichthin.
„Oh, die Zeiten sind gut, die Menschen
sind schlecht. Ich bin gerade dabei, europaweit zu expandieren. Meine Wiener
Dependance verdoppelt momentan die Zahl ihrer Mitarbeiter auf allen Ebenen –
Anwälte, Notare, Bürokräfte“, erläuterte René noch immer mit dem gleichen
Grinsen auf den Lippen, das mittlerweile wie eingefroren wirkte. Er winkte den
Kellner herbei
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