Somnambul Eliza (German Edition)
ungeübten Ohren zu unruhig, zu
sprunghaft, zu diskontinuierlich klang und sie ein wenig nervös machte.
Mit La vallée des cloches , dem Tal der Glocken, folgte jedoch
ein versöhnlicher Abschluss der ersten Halbzeit des Konzertes. Auch für einen
Laien waren mit Leichtigkeit die Glockenklänge aus dem gleichbleibend ruhigen
und harmonischen Klangteppich herauszuhören.
„Wie hat es dir bisher gefallen,
Liebste?“ fragte Valeriu leise über Elizas Schulter gebeugt, während sie in
ihrer Reihe standen und auf das ältere Ehepaar warteten, das neben ihnen
gesessen hatte und sich offenbar ebenfalls auf den beschwerlichen Weg ins Foyer
begeben wollte, aber noch dabei war, seine Glieder zu sortieren. Eliza spürte
Valerius kühlen Atem im Nacken und sie war nicht sicher, ob es der frische
Lufthauch oder die verführerische Vibration seiner Stimme war, wegen der sich
die feinen Härchen in ihrem Nacken erwartungsvoll aufstellten. Sie drehte sich
zu ihm um: „Ich hätte nicht gedacht, dass ein einzelnes Klavier ohne
Begleitung, ohne Worte und ohne Gesang so unterhaltsam und vielseitig sein
kann.“
Er legte seine Hände zärtlich um ihre
Schultern und hauchte einen Kuss in ihre Halsbeuge.
Endlich im Foyer angekommen, machten
sich Laurin und Valeriu umgehend auf den Weg zur Bar,
um für alle Getränke zu organisieren.
„Ich finde, dieser junge Pianist
interpretiert Ravel absolut umwerfend“, strahlte Aurica. „Jeder Ton ist
makellos klar und nuanciert und gleichzeitig schweben seine Finger in einer
unsagbaren Leichtigkeit über die Tasten, die an Magie grenzt.“
Eliza nickte zustimmend: „Für mich war
es wie Malerei für die Ohren. Die Fülle der Assoziationen war überwältigend und
die Musik oft so bildhaft, dass ganze Episoden, ganze Geschichten im Kopf
lebendig wurden.“
Dann kamen die Männer zurück, jeder mit
zwei Gläsern Rotwein in den Händen, die sie auf einem der Stehtische
abstellten. Alle prosteten einander zu und Eliza nahm einen beherzten Schluck,
denn sie hatte schon während des Konzertes Durst gehabt.
Um ein Haar hätte sie den Wein jedoch
angewidert zurück ins Glas gespuckt und konnte sich nur mühsam des guten Tons
wegen beherrschen. Doch auf ihre Mimik hatte dieser Akt der Selbstbeherrschung
offenbar nur wenig Einfluss, denn die Blicke ihrer drei Begleiter waren
plötzlich sorgenvoll auf sie gerichtet und verfolgten, wie ihr die Gesichtszüge
entglitten.
„Da ist irgendetwas in meinem Wein. Er
schmeckt schauderhaft“, erklärte sie mit noch immer vor Ekel verzogenem Mund.
„Oh, das tut mir leid, Eliza. Ich bin
sicher, Laurin hat nicht aufgepasst und dir meinen
Wein hingestellt“, sagte Aurica schnell und tauschte die Gläser aus.
„Ich bin ein Fan dieses exotischen
Bulgaren, aber ich habe bereits mehrfach die Erfahrung machen müssen, dass er
nicht jedermanns Sache ist.“
Skeptisch beobachtete Eliza, wie Aurica
tatsächlich genussvoll trank.
„Entschuldige, ich wollte deinen
Geschmack nicht beleidigen“, brachte Eliza hervor und wurde ein wenig rot.
„Der Fehler lag bei mir, Eliza. Und
dieser absonderliche Geschmack, der wirklich an Geschmacksverirrung grenzt, ist
sicherlich hauptsächlich auf verklärte Heimaterinnerungen zurückzuführen“,
sagte Laurin entschuldigend und mit einem
schalkhaften Seitenblick auf seine Frau.
Eliza selbst führte den diesmal wirklich
wohlschmeckenden Bordeaux an die Lippen, doch der eigenartig sämig-salzige und
gleichzeitig süßliche Beigeschmack des anderen lag ihr trotzdem noch eine Weile
auf der Zunge. Dann wurde es Zeit, in den Konzertsaal zurückzukehren.
Die
zweite Hälfte des Abends war dem dreiteiligen Zyklus Gaspard de la nuit gewidmet. Ravel bezog sich darin auf Gedichte aus
der gleichnamigen Sammlung des vergleichsweise unbekannten französischen
Dichters Aloysius Bertrand. Dass Eliza den Gedichtband dennoch kannte,
verdankte sie einer Verkettung erstaunlicher Zusammenhänge, wie sie in der
Literatur- und Kunstgeschichte überraschend häufig vorkamen. Bertrand war ein
armer Poet gewesen, der ein kärgliches Leben im Paris der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts geführt hatte und seine stimmungsvollen, unheimlichen und
phantastischen Werke unter dem Einfluss der Romantik verfasst hatte. Nach dessen
frühen Tod wurde ausgerechnet Charles Baudelaire auf Bertrands Lyrik aufmerksam
und entdeckte ihn als Ahnen des Symbolismus und als Vorbild seiner eigenen
Prosadichtung. Durch ihr Baudelaire-Studium wiederum stießen die
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