Somnambul Eliza (German Edition)
Mittagessen. Das gute kollegiale Verhältnis
zwischen den drei jungen Frauen hatte sich in den vergangenen Wochen bei
gemeinsamen Mittags- und Kaffeepausen sowie einem Kinobesuch und ein paar
Shoppingtouren zu einer gewissen Freundschaft entwickelt, die weder zu eng noch
zu oberflächlich war. Corinna Bräuning arbeitete als Museumspädagogin im
Leopoldmuseum, war ein paar Jahre älter als Eliza und alleinerziehende Mutter
einer kleinen Tochter, die noch in den Kindergarten ging und es war immer
wieder beeindruckend, zu erleben, mit wie viel Elan und guter Laune sie ihren
stressreichen Alltag meisterte. Corinna war eine Person, die mit ihrer bloßen
Anwesenheit eine positive Atmosphäre zu schaffen vermochte und immer ein nettes
Wort oder einen Scherz auf den Lippen hatte. Außerdem war sie entwaffnend
ehrlich und äußerst direkt, wobei sie nur sehr selten den Ton in Richtung
Taktlosigkeit verfehlte. Ebenso erfrischend wie ihr Wesen, war auch ihre
jugendliche Erscheinung. Die blonden Locken trug sie zu einem frechen Bob
frisiert, der bei dieser lebhaften Person andauernd in Bewegung war und
fröhlich auf- und abwippte . Ihre blauen Augen
strahlten schalkhaft und ihr etwas zu großer Mund mit dem markanten Kinn war
fast immer zu einem Lachen oder zumindest zu einem Schmunzeln verzogen. Obwohl
sie selbst ein solches Energiebündel war, war sie keine dieser Personen, die
versuchten, andere in ihrer Agilität und Aktivität zu missionieren, sondern
konnte sich auf jedes ihrer Umfelder einstellen. Und obgleich sie eine
hingebungsvolle Mutter war und zu ihrem Freundeskreis durchaus auch klassische
Vertreterinnen dieser Zunft zählte, waren Kind und Mutterschaft nicht ihr
einziges Thema und sie genoss es sogar sichtlich, sich auch mal davon freizumachen.
Bianca Kerkel hingegen war ein Prototyp des klassischen Klischees der jungen
Kunsthistorikerin. Sie hatte ihr Studienfach gewählt, weil es sich für Höhere
Töchter so gehörte und hoffte nun auf den perfekten, wohlhabenden Ehemann. Da
ihr dieser jederzeit im Museum begegnen könnte, machte sie sich jeden Tag fein,
wie für einen Empfang und trug ausschließlich süße, teure Kostüme, die zwar
wunderbar zu ihrem Stil passten, aber sie auch oft ein bisschen zu alt wirken
ließen. Schließlich war Bianca auch erst Ende Zwanzig. Ihre schönen braunen
Haare trug sie in der Tradition von Jacky Kennedy, nur ab und zu wurden sie
wahlweise zu einem strengen Dutt oder zu einem Pferdeschanz gebunden.
In ihrer Persönlichkeit wie in ihrer
Weltanschauung und ihrem Lebensentwurf sowie ihren finanziellen Möglichkeiten
hätten die drei Frauen kaum verschiedener sein können und doch verband sie alle
die Liebe zur Kunst, die sie hier in Wien zusammengeführt hatte.
Bianca trug dank ihrer reichen Eltern
immer Stücke aus den neuesten Kollektionen der Designer, wenn sie auch eher ein
Fan der klassischen und konservativeren Labels war, Eliza durchstreifte
Outlets, Secondhand-Boutiquen, Flohmärkte und das Internet, um ihre
extravagante Designermode zu erstehen und Corinna konnte sich diesen Luxus
weder auf dem einen noch auf dem anderen Wege leisten und investierte
stattdessen ihre Kreativität und ihr großes Talent im Nähen und Stricken, um
ihre Garderobe aufzupeppen.
Gleichzeitig verfügte Corinna mit
Abstand über die größte Lebenserfahrung der drei Frauen, was nicht allein an
den paar Jahren lag, die sie älter war. Sie hatte sehr jung geheiratet und sich
fast ebenso jung wieder scheiden lassen und in der nächsten, ebenfalls nicht
sehr haltbaren Beziehung ihre Tochter Jenny bekommen. Seither hatte es zu
keiner festen Bindung mehr gereicht und in Hinblick auf Männer hatte Corinna
eine recht abgeklärte Haltung entwickelt, was sich jedoch nicht in verhärmtem
Frust äußerte, sondern in einem leisen Sarkasmus und der Fähigkeit, die Männerwelt
nicht mehr allzu ernst zu nehmen.
Natürlich galt Biancas erste Frage dem
attraktiven Herrn, der so andächtig an Elizas Lippen gehangen hatte.
„Ich habe ihn hier im Museum bei einer
Führung kennengelernt und er wollte noch ein bisschen mehr über den Selbstseher erfahren.“
„So, so, über den Selbstseher -
da lachen ja die Hühner“, unterbrach Corinna sie grinsend.
„Es ist schon erstaunlich, welch
psychologisches Talent Männer bisweilen an den Tag legen. Allerdings ist diese
Fähigkeit leider offenbar äußerst eng mit dem Jagdinstinkt verknüpft. Haben sie
ihre Beute erlegt, nimmt diese Gabe rapide ab und versiegt im
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