Somnambul Eliza (German Edition)
paar
echte Originale. Die meisten waren aber totlangweilige rumänische Adlige, die
auf ihren Landgütern saßen und mit ihrem Leben dem Lauf der Geschichte nichts
Bedeutendes hinzuzufügen hatten.“
Warum sie den dritten, eigentlich
interessantesten Suchmaschinen-Eintrag mit Valerius unvollständigem Stammbaum
verschwieg, wusste Eliza in diesem Moment selbst nicht so recht. Vielleicht wollte
sie nicht, dass er ihr erklären musste, woher seine Familie ihren Namen hatte,
vielleicht fürchtete sie sich aber auch unterbewusst vor einer anderen
Wahrheit, die für sie und ihren aufgeklärten Geist nicht zur Debatte stand.
Doch ehe sie das Gespräch über seine Vorfahren fortsetzen konnten, hatte
Valeriu Eliza zärtlich zu sich herangezogen und bettete ihren Kopf auf seinen
Schoß. Seine Finger fuhren durch die Pracht ihrer goldenen Locken, deren
Korkenzieherdrehungen sie nachverfolgten. Dann nahm er das Büchlein zur Hand
und begann zu lesen.
Es war die turbulente Geschichte des
Studenten Anselmus , der aus der kleingeistigen Welt
des Bürgertums in die geheimnisvolle, magische Welt des Archivarius Lindhorst eintaucht und sich in dessen schlangengestaltige Tochter Serpentina verliebt. Wie ein Drogenrausch stürzten die skurrilen Ideen und traumartigen
Gebilde mit illusionistischer Kraft auf Eliza ein; in leuchtenden Farben und
plastischen Formen entwickelte sich der phantastische Hoffmann’sche Kosmos wie ein Kaleidoskop vor ihrem geistigen Auge und sie lauschte wie
gebannt Valerius Worten, dessen unvergleichliche Stimme das vibrierende,
schillernde Märchenreich zum Leben erweckte.
„Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der
Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der
Natur offenbaret?“ schloss Valeriu mit der an den Leser adressierten Suggestivfrage des Autors,
der er durch seine Betonung noch zusätzliche Bedeutungsschwere verlieh.
Eliza kehrte wie aus einem Traum in die
Wirklichkeit zurück.
„Hast du schon einmal darüber
nachgedacht, Hörbücher zu lesen? Mit deiner Stimme würde bestimmt sogar die
Vertonung des Wiener Telefonbuches zum Bestseller“, mutmaßte sie und Valeriu
musste lachen.
„Nein, vorlesen tue ich nur für dich, pisică mea . “
Er zog ihren Kopf zu sich herauf, um sie
zu küssen. Dann fuhr er fort: „Glaubst du an diesen heiligen Einklang aller
Wesen , Eliza?“
Sie dachte einen Moment darüber nach.
„Ja, in gewisser Weise schon. Abgesehen
vom Menschen, der immer wieder verzweifelt und rücksichtslos versucht, sich
über dieses System zu erheben, hat doch jede Spezies ihren natürlichen Platz in
der Ordnung der Welt; nur so funktioniert doch der ewige Kreislauf aus Fressen
und gefressen werden, aus Werden und Vergehen.“
Valeriu schaute sie aufmerksam an.
„Du meinst also, jede Spezies hat ihre
Daseinsberechtigung? Auch diejenigen unter ihnen, die als Fehltritte der
Evolution als grausame Raubtiere mit dem Privileg ausgestattet worden sind,
keine natürlichen Feinde zu haben?“
Der Blick, der sie nun aus seinen
wunderbaren bunten Augen traf, war forschend und etwas streng.
„Ich weiß zwar nicht, an welche Bestien
du denkst, aber ich vermute, jede Art erfüllt auf irgendeine Art und Weise ihren
Zweck und macht die Welt mit ihrer Existenz ein wenig reicher und
vielfältiger.“
„Das klingt sehr schön und wahrlich
poetisch. Ich würde nur zu gern glauben, dass du damit Recht hast.“
Dann zog Valeriu auf die für ihn
typische Art eine Augenbraue hoch und er zitierte mit melodisch tiefer,
getragener Stimme: „ Nun sag, wie hältst du's mit der Religion? Du bist ein
herzlich guter Mensch, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon. “
Eliza grinste: „Soll das hier ein
Kreuzverhör werden?“
Valeriu schüttelte mit dem Kopf: „Nein,
entschuldige. Es gibt einfach so vieles, das ich über dich wissen möchte. Ich
könnte dir die ganze Nacht Löcher in den Bauch fragen.“
Eliza holte tief Luft, dann entgegnete
sie: „ Nenn es dann, wie du willst. Nenn's Glück!
Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür! Gefühl ist alles; Name ist
Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut. “
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort:
„Du hast Recht. Ich bin nicht religiös. Ich glaube lediglich, dass es
irgendeine höhere Macht gibt, die den Weltenlauf in Gang gesetzt hat, die für
die Harmonien und Berechenbarkeiten auf Erden
verantwortlich zeichnet. Aber ich glaube ebenso an die
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