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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nicht.
     
    Die Pro-Bonn-Leute merkten schon, daß sie verlieren würden – ihre Rhetorik litt darunter (Verheugen, Baum). Zum Teil konfuses Gequatsche. Vielleicht braucht man für die große Rede ein idealistisches Ziel. Das war bei den Linken der Fall und bei Hitler. Und jetzt bei den Pro-Berlinern. Sie wußten sich eins mit der Geschichte.
     
    2007: Verheugen, der damals für Bonn votierte, ist jetzt ein großer Europa-Mann. Unter Europa macht er’s nicht.
     
    M/B: Sie wischte sich diverse Schläferchen aus den Augenwinkeln.
     
    Eine Plauderei über die Chronik. Der Titel:
Sisyphus
Alles umsonst
Deutsche Chronik

Nartum Di 25. Juni 1991, Regen
     
    Ganze Luft ist naß, 99% Wasser.
    Wie gut, daß ich kein Schüler mehr bin, bald pensioniert werde und es nicht nötig habe, mich dem Ingeborg-Bachmann-Preis zu stellen. Die sitzen da wie vor Gericht, und die Zuhörer schwitzen. Hinterher laufen sie auseinander, und keiner hört mehr was von ihnen. Außer von diesem Typ, der sich die Stirn aufschnitt. Ob er recht glücklich wird damit?
     
    TV: Heute war Frau Schütz an der Reihe, sie geht auf einem Sträßlein mit einem Fremdling: Wie es ihr so geht und was sie so macht. – Als es darum ging, einen Film über Rostock zu machen, gab man ihr den Zuschlag, nicht mir. Ich wurde gar nicht gefragt. Lange her.
     
    TV: Stasi und kein Ende. Diesmal machte ein Mann mit Schiebermütze auf’m Sofa Geständnisse.
     
    Hildegard fuhr nach Berlin.
    Ein Fräulein Frohriep kam, um ins Archiv zu schauen.

Nartum Mi 26. Juni 1991, Regen/schön
     
    Schöner, ruhiger Tag, nur die Hunde machen mir Vorwürfe. Katze hat sich erbrochen, das hat sie extra getan, weil Hildegard in Berlin ist.
     
    Verabschiedung in Oldenburg, 14.00. 31 Jahre Pädagogik. Schluß.
     
    TV: Äthiopischer Soldat, der nackend aus einer Pfütze trinkt. Sendung«Explosiv», acht Besitzer von Kampfhunden machen einen Journalisten zur Sau, der deren Abschaffung gefordert hat. Daß er früher bei BILD war, fällt erschwerend ins Gewicht.
     
    Böse Kritiken, ich wäre eitel und rechthaberisch. Ich sei banal, habe immer das Banale geschildert, nun stelle sich heraus, daß ich selber …
     
    20 Anmeldungen für das November-Seminar. Das deckt noch nicht die Unkosten.
     
    Aus der Tschechoslowakei sind die letzten Russen abgezogen, in Ungarn schon vor einiger Zeit.
     
    Im TV wird gezeigt, wie sie die letzten Minen aus der Feuerzone ausbuddeln. Es sollen zigtausende sein. Die Maschine eines privaten Erfinders, mit der man die Dinger gefahrlos detonieren lassen kann, wird nicht eingesetzt.
     
    Einem Rechtsanwalt rückte das ZDF auf den Pelz, der früher bei der Stasi war und mit Terroristen zusammengearbeitet hat. Seine Frau erscheint an der Gartenpforte:«Verschwinden Sie hier! Aber dalli!»Dann holt sie einen Fotoapparat und fotografiert die Journalisten. Ein jüngerer Mann erscheint, auch mit Fotoapparat, unterdessen: Der Stasi-Mensch hüpft durch die Büsche wie ein Känguruh. Wenn er ein gutes Gewissen hätte, würde er den Gartenzwerg machen.
     
    Eine spezielle Art von Proleten ist drüben ans Ruder gekommen. Wunderbar: frisches Blut!
     
    TV: Lesung in Klagenfurt: Ein Autor namens Roland Koch, säuerliche Schweinereien, anatomische Beschreibung seines erigierenden Penis. – Die Jury lobte ihn, wie sie nur konnte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Habe irgendwo Notizen, schreckliche Sprache, extrem unbegabt. – Auch Helga Schütz wurde gezeigt. Unerträglich. Mir ist das ein großes Rätsel. Ich meine, wenn jemand was erzählt, dann muß er doch was zu sagen wissen. Und dann hört man ihm auch gern zu. Wie in der Straßenbahn die Leute, da hört man auch gern zu, selbst wenn es einen nichts angeht.
    1973 erhielt sie den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR. Ob sie sich von dem Geld wohl die Wohnung neu tapezieren ließ? – Preisgelder schmelzen dahin wie Butter in der Sonne.
     
    2007: Ich traf sie in Potsdam in der Orangerie bei einer Gauck-Diskussion.«Ich bin die Helga Schütz», sagte sie. – Ein Herr zeigte mir sein Bundesverdienstkreuz, das er sich am Anzugrevers festgeklemmt hatte:«Es ist das große», sagte er.
     
    Ich nagele im Augenblick M/B zusammen. Die Seite 100 mit Ach und Krach erreicht. Habe heute das 14. Kapitel skizziert, werde das mit den nächsten Kapiteln genauso machen und dann auffüllen. -
     
    Die«Metamorphosen»von R. Strauss. Angesichts der Trümmer von München hat er sie geschrieben.
     
    2007: Nun, nach

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