Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
Idee?«
***
Am Marktplatz fand ein Frühlingsmarkt statt. Die Kirchenpforte öffnete sich und die Besucher der Morgenmesse mischten sich unter das geschäftige Treiben. An den von Kastanienbäumen flankierten Ständen bildeten sich große Menschentrauben. Ein Reiter aus Bronze ragte in der Mitte des Platzes aus der Menge. Das Schwert hatte er hoch zum Kampf gereckt, die Sonne reflektierte darin. Sein Pferd stand auf den Hinterbeinen und scheute.
Alena blieb auf der Steintreppe zum Dom stehen und rieb sich die Arme. Sie musste den Marktplatz überqueren, wollte sie keinen Umweg über unbeobachtete Gassen gehen.
Wie sie solche Menschenansammlungen hasste.
Eine Babischka rempelte Alena eine Stufe hinunter, ohne sich zu ent-schuldigen. Sie sah über die Oma hinweg und beobachtete einen voll-bärtigen Metzger, wie er einen Stein nach einem Hund warf, dessen Rip-pen unter dem grauen Fell zu sehen waren. Alena wollte es hinter sich bringen, trat entschlossen die Treppen hinunter und drängelte sich durch die Menge.
»Bohnen, frische Bohnen!«, krächzte eine dicke Bauersfrau hustend und mit hochroten Wangen. Alena sah neben dem Gemüsestand einen Bettler sitzen, den Kopf an einen der Kastanienbäume gelehnt, vor sich im Schoß eine leere Schale.
Das Stimmengewirr wurde lauter und lauter, oder kam es Alena nur so vor? Sie wurde hin und her geschoben. Mal verirrte sich eine fremde Hand an ihren Hintern, mal trat sie in eine Pfütze, mal stieß ein Ellen-bogen gegen ihre Brust, schließlich lächelte ein unrasierter Kerl ihr seine Bierfahne entgegen. Dann endlich hatte sie sich durch die Menge gewunden.
»Hey, Schnecke! Komm doch mal her«, rief ein Schwarzhaariger. Er lehnte zusammen mit drei Kumpeln an einer Litfaßsäule. »Wir werden sicher unseren Spaß mit dir haben«, grölte er und deutete ihr mit einer Geste an, was er meinte. Die anderen johlten und pfiffen. Alena wich einen Schritt zurück, zog den Satin-Blouson noch enger um den Körper und drehte ihnen den Rücken zu. Rasch bog sie in die nächste Seitenstraße ein, ohne sich noch einmal umzusehen.
Als sie das Studentenwohnheim erreichte, stürzte sie in die Eingangs-halle und eilte die Treppen hoch. Sie drückte mit dem Rücken die Woh-nungstür ins Schloss, sank in die Knie und kam sich vor wie ein Stück Fleisch. Sie fühlte, wie ihr die Tränen über die Wangen rollten und vom Kinn auf die zitternden Fäuste tropften, die sie gegen den Bauch gepresst hielt. »Papa«, murmelte sie. »Ich halte das nicht länger aus.«
Mit der Zeit war es ihr gelungen, sich wegzuträumen und die Kind-heitserinnerungen zu verdrängen. Dann rasselten die Vergangenheits-geister mit ihren Ketten und raubten Alena die Seelenruhe. Sie wollte wieder schlafend durch das Leben gehen.
Durch die offen stehende Küchentür erspähte sie ein Messer, das auf dem Tisch neben einem Schneidbrett lag. Komm, steh auf und bringe es hinter dich, befahl sie sich. Ein Schnitt und es wäre vorbei.
Sie wischte sich mit dem Hemdsärmel die Tränen von den Wangen und ging ins Bad.
Abwechselnd duschte sie mit heißem und eiskaltem Wasser. Nach einer Stunde fühlte sie sich noch immer schmutzig. Sie lehnte sich mit der Stirn an die vom Dampf beschlagenen Fliesen und atmete schwer. Wenigstens betäubte der körperliche Schmerz für eine Weile die Seelen¬qualen. Die Wohnungstür fiel ins Schloss.
»Ich habe auf die Anzeige hin ganz viel Post bekommen. Komm her und lies mit«, rief Magdalena aufgeregt. Alena drehte die Dusche ab und mahnte sich zur Ruhe.
Magdalena saß mit gezogener Schnute am Küchentisch. Vor ihr lagen unzählige aufgerissene Kuverts und maschinengeschriebene Briefe.
»Toll. Lauter teure Partnervermittlungen. Nur ein richtiger Brief«, murmelte Magdalena und schwenkte ihn in der Luft hin und her. »Und der ist von einem fast Fünfzigjährigen, der auf der Suche nach einer Affäre ist.«
Alena drückte Magdalenas Kopf gegen den Bauch und streichelte der Freundin übers Haar. »Scheint unter keinem guten Stern zu stehen, die-ser Tag.«
»Hast du wieder bei Vlado geschlafen?«
»Ja.«
»Ich hab mich gefürchtet! So viel Donner und Regen und Einsam¬keit.« Magdalena ließ den Brief seufzend zu Boden segeln.
Ein schlechtes Gewissen machte Alena zu schaffen, obwohl Magda¬lena das sicher nur scherzhaft gemeint hatte.
Alena holte Orangensaft aus dem Kühlschrank und schenkte ihnen ein. »Ich besuche meine Oma am Abend, magst du mitkommen?«
Magdalena winkte ab.
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