Sonderauftrag
Scharfschützeneinheit, in der nur ehemalige Wilddiebe waren.«
»Gab es auch solche Sondereinheiten, die sich mit der Verfolgung jüdischer Mitbürger befassten?«
»Ja, auch die gab es. Sie folgten der Wehrmacht in die besetzten Gebiete und nahmen sicherheitspolizeiliche und nachrichtendienstliche Aufgaben wahr. Die Geheime Staatspolizei, kurz ›Gestapo‹, war dafür nicht zuständig. Es handelte sich ja um Auslandseinsätze.«
»Diese Einheit folgte also unmittelbar der kämpfenden Truppe?«
»Kann man so sagen, ja!«
»Und kann von Schleyersdorf einer solchen Einheit angehört haben?«
»Durchaus! Vieles spricht dafür.« Dr. Neumann nickte bei diesen Worten, wogegen Ewa Bednarek den Kopf schüttelte.
Kröger fiel das auf. »Sie sind anderer Meinung?«
Sie lächelte. »Ich glaube, wir sollten uns nicht zu früh festlegen. Es gab ja noch mehr Sondereinheiten. Unter anderem auch welche, die sich auf Kunstraub spezialisiert hatten.«
»Und welche waren das?«
»Oh, einige! Da gab es zum Beispiel den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Benannt nach Alfred Rosenberg, der später als Kriegsverbrecher während des Nürnberger Prozesses verurteilt und dann hingerichtet wurde.«
»Und diese Einheit raubte Kunstwerke?«
Ewa Bednarek nickte heftig. »Ja, und zwar in ganz Europa. Dieser Einsatzstab beschlagnahmte und raubte, aufgrund von Führerbefehl, Kunstwerke und Kulturobjekte, die etwa 1,5 Millionen Eisenbahnwaggons füllten.«
Vollert stieß einen leisen Pfiff aus. »Bei 12 Meter Länge eines Waggons macht das einen Zug von … von 18.000 Kilometern«, er rechnete schnell weiter, »18.000 Kilometer, das entspricht einer Strecke von Deutschland bis Neuseeland. Stellt euch mal einen Zug von dieser Länge vor!«
Er wandte sich an Ewa Bednarek: »Um was für Kunstwerke handelte es sich? Für mich ist diese Menge einfach unvorstellbar!«
»Nicht nur für Sie. Geraubt wurde alles, was von Wert war. Gemälde, Skulpturen, Möbel, Gobelins, Teppiche, Porzellan, Briefmarken, Münzen, Altäre, ja, sogar ganze Zimmer, wie zum Beispiel das Bernsteinzimmer. Es wurden Museen, Kirchen und Privatpersonen beraubt. Nichts und niemand war vor ihnen sicher.«
»Und bei diesem Einsatzstab Rosenberg könnte von Schleyersdorf gedient haben?«
»Nein!« Energisch schüttelte sie den Kopf.
»Nein?«
»Schauen Sie«, sie ging zum Tisch, suchte einen Augenblick und zog schließlich ein Buch hervor, blätterte einen Augenblick darin und hielt Vollert dann das aufgeschlagene Druckwerk hin. Er erblickte ein Foto, das einen Mann in Uniform zeigte.
»Ja, und?«
»Auf diesem Bild sehen Sie Alfred Rosenberg. Betrachten Sie die Uniform.«
Vollert starrte verständnislos auf die Fotografie.
»Seine Uniform? Was ist damit?«
»Na, viel Ahnung haben Sie wohl nicht. Entschuldigen Sie, dass ich das so sage, aber Frau Dr. Bednarek …«, Dr. Neumann hatte sich eingemischt, »versucht gerade, Ihnen darzulegen, warum von Schleyersdorf nicht beim Einsatzstab Rosenberg gewesen sein konnte.«
»Na, dann klären Sie mich Ahnungslosen doch mal auf. Was hat es mit dieser Uniform auf sich?« Vollert lächelte Ewa an.
»Der Tote trug die Uniform eines Obersturmbannführers«, erklärte sie, »und die Angehörigen des Einsatzstabes gingen in Zivil oder trugen die senffarbene Uniform der Kraft-durch-Freude-Truppen. Keinesfalls die Uniform der SS!«
»Wissen Sie das genau?«
»100-prozentig, Herr Vollert. Sehen Sie sich das Bild an.« Sie tippte auf das Buch. Vollert bemerkte einen Ring an ihrem Finger in Form einer Schlange. Die Augen waren leuchtende Rubine.
Dann blätterte sie ein paar Seiten weiter. »Und vergleichen Sie das mal mit diesem Foto.« Sie hielt Vollert die aufgeschlagene Seite hin. Der nickte.
»Ja, stimmt! Andere Uniform.«
»Und wegen dieser Uniform wurden sie auch nur verächtlich ›Goldfasane‹ genannt.« Dr. Neumann lächelte.
»Dann können wir dieses Sonderkommando ja von der Liste streichen.«
»Die Liste ist aber auch so lang genug.« Dr. Neumann winkte ab.
»Da gab es noch die Truppe um Dr. Hans Posse, die im Führerauftrag für das geplante Museum in Linz raubte, dann das Sonderkommando Künsberg, Dr. Kajetan Mühlmann, der im Auftrag von Göring stahl, den Sonderstab Bildende Kunst und, und, und…«
Kröger war bei Nennung des Namens Göring hellhörig geworden. »Göring war des Öfteren zu Besuch bei den von Schleyersdorfs.«
»Der zweite Mann im Dritten Reich und einer der größten Kunsträuber
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