Sonea - Die Heilerin: Roman
die Verräterinnen auf den Tod der alten Frau reagieren würden. Er wappnete sich gegen Anklagen und Tadel.
Doch nichts dergleichen kam. Während die Stunden verrannen, sagten die Patienten und Besucher der Krankenstation lediglich, dass die Frau bereits sehr alt gewesen sei, und obwohl es traurig sei, dass sie gestorben war, sei es nicht unerwartet gekommen. Niemand warf vielsagende Blicke in Lorkins Richtung. Falls Kalia irgendeine Versuchung verspürte anzudeuten, dass er die alte Frau hätte retten können, widerstand sie ihr.
Dem halbwüchsigen Jungen ging es jedoch nicht gut, und als Lorkin mit dem anbrechenden Abend die Erschöpfung nach einer nur kurzen Nacht zu spüren begann, trafen die Eltern des Jungen ein und eröffneten Kalia, dass sie ihn mit nach Hause nehmen würden.
Der Blick aus schmalen Augen, den Kalia Lorkin zuwarf, ließ ihn frösteln. Er bemühte sich, verwirrt zu wirken oder zumindest müde und verständnislos. Sie sagte nichts und bestand darauf, die Familie zu begleiten.
Wird man mir heute Nacht auf dem Rückweg zum Männerraum auflauern?, fragte er sich. Wie lange wird es dauern, bis Kalia dahinterkommt, was hier vorgeht? Falls sie es nicht bereits weiß.
Er zog ein wenig Magie in sich hinein, vertrieb die Müdigkeit aus seinem Körper und wandte sich wieder der Arbeit zu, die er vor dem Erscheinen der Familie getan hatte. Nicht lange danach hörte er Schritte vom Eingang, und als er aufschaute, bemerkte er einen neuen Patienten.
Evar lächelte, nickte Lorkin zu, sah sich im Raum um und kam dann auf ihn zu. Seine Nase war rot, und seine Augen waren geschwollen.
»Du hast dir wirklich einen wunderbaren Zeitpunkt ausgesucht«, sagte Lorkin.
»Wie meinst du das?«, fragte Evar und blinzelte mit geheuchelter Unschuld. Er hustete. »Uh«, murmelte er. »Ich hasse das Kältefieber.«
»Du wirst es überleben.«
»Ich habe Halsschmerzen.«
Lorkin lachte leise, bedeutete Evar, ihm zu folgen, und ging dann zu den Heilmitteln, die Kalia für den Tag aus ihrem Lagerraum geholt hatte.
»Wo ist Kalia?«, fragte er.
Evar zuckte die Achseln. »Auf dem Weg nach irgendwohin. Ich habe nicht gesehen, wohin genau sie gegangen ist. Ich habe nur bemerkt, dass sie die Krankenstation verlassen hat, und bin sofort hierhergekommen.«
Lorkin reichte seinem Freund eine kleine Menge Tee. »Du kennst die Dosierung?«
»Natürlich. Ich hatte das Fieber jedes Jahr, solange ich denken kann.«
»Und doch bist du ein Magier«, erwiderte Lorkin. Nicht dass Gildemagier niemals Krankheiten bekämen. Aber sie neigten dazu, sich schnell zu erholen. Selbst wenn Evar sich das Kältefieber zugezogen hatte, würde es Lorkin nicht überraschen, wenn Evar am nächsten Morgen vollkommen genesen aufwachen würde.
Evar blickte sich um. »Wie läuft es denn so?«
»Ein wenig besser. Bald werden weniger Menschen herkommen, im Wesentlichen, weil es niemanden mehr gibt, der sich an dem Fieber anstecken könnte.«
»Ich hatte schon gedacht, ich wäre für dieses Jahr daran vorbei…«
» Lorkin .«
Sie beide blickten auf und sahen Kalia in der Tür stehen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und stolzierte auf ihn zu; ihre festen Schritte hallten im Raum wider. Ihre Augen wurden schmal, und sie presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen.
»Oh-oh«, flüsterte Evar. Er trat einen Schritt zurück, als Kalia herbeikam. Sie blieb ein wenig näher bei Lorkin stehen, als man es wahrscheinlich für normal oder angenehm gehalten hätte, und funkelte ihn an.
Funkelte zu ihm auf , bemerkte Lorkin. Es war ein lächerlicher Gedanke, aber es wirkte einfach komisch, dass sie, die einen Kopf kleiner war als er, ihn körperlich einzuschüchtern versuchte. Er hoffte, dass sein Gesicht möglichst ausdruckslos war.
»Hast du Velyla mit Magie geheilt?«, fragte sie. Sie sprach langsam und mit einer Stimme, die leise war, aber doch laut genug, dass alle im Raum sie hören konnten.
Stoff raschelte, als die Patienten und Besucher sich aufrichteten oder umwandten, um die Auseinandersetzung zu beobachten, dann wurde es still im Raum.
»Ja«, antwortete Lorkin. »Mit der Erlaubnis ihrer Eltern«, fügte er hinzu.
Kalias Augen weiteten sich, dann wurden sie wieder schmal. »Also bist du ohne mich in ihr Quartier gegangen, trotz meiner Befehle …«
»Nein«, unterbrach er sie. »Ich bin nicht in ihr Quartier gegangen.«
Die Falte zwischen ihren Brauen vertiefte sich. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann schloss sie
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