Songkran
Frauenstimme.
„Am Apparat!“
„Wan hat mir gesagt, dass Sie mir helfen können.“
Gun nahm das Handy vom Ohr. Schnell drehte er sich im Kreis, als ob er die Anrufende im Umkreis entdecken könnte.
„Sind Sie noch dran, Herr Inspektor?“, fragte die zarte Frauenstimme.
„Ja“, antwortete er leise, fast paralysiert.
„Kann ich Sie morgen treffen?“
„Wann und wo?“, flüsterte er. Sein Magen begann zu krampfen.
„Morgen. Um 19 Uhr 30 am Thaksinpier. Steigen Sie in das letzte Expressboot in Richtung Nonthaburie.“
„Wie erkenne ich Sie?“
„Ich erkenne Sie“, sagte die Frau bestimmt. Die Stimme klang selbstsicherer.
Gun wollte etwas erwidern, aber das Mädchen hatte das Gespräch bereits unterbrochen. Gun schaute auf die Uhrzeit im Handydisplay. Fünf Minuten vor Zwölf.
Teil 3
Guns Dilemma
Die vorletzte Nacht
Schweißtropfen bahnten eine Furche auf Guns Stirn; zwischen den Augenhöhlen hindurch, steuerten die Störenfriede auf das Nasenbein zu, um auf dem First in Richtung Spitze zu kullern. Dort angelangt verharrten sie abwartend. Hilfesuchend drehte Gun den Kopf in Nois Richtung. Sie sah die Tropfen, nahm ein Taschentuch aus ihrer Uniformjacke und tupfte Guns Nasenspitze ab.
„Das DSI kommt nicht, Gun. Der Chef hat angerufen. Die Zeit drängt!“ Die blanke Angst sprach aus Superintendent Chaiyons Augen. „Nehmen Sie endlich den blauen Draht“, flehte er Gun an.
Chaiyon kniete rechts neben Gun auf dem Boden. Auch er schwitzte stark, aber im Gegensatz zu Gun, schienen ihm die Schweißperlen auf der Haut nichts auszumachen.
„Warum den blauen Draht, Sir? Und warum kommt das DSI nicht?“
„Gun, es ist kein Verlass auf das DSI. Das wissen Sie doch“, lavierte sich Chaiyons heraus. Seine Anfangspanik war einer beängstigten Ruhe gewichen.
„Also Gun, schneiden Sie den blauen durch!“
„Ich brauche mehr Licht, Noi!“, schrie Gun.
Noi stand im Rücken der beiden Männer. Sie leuchtete mit der Taschenlampe auf die Bombe. Der blaue Draht überbrückte zwei bis zum Rand gefüllte Benzinkanister. Ein roter Draht lief zu einem altmodischen Haushaltswecker, dessen Zeiger sich bewegte.
„Warum nicht den roten Draht, Sir?“ Guns Hände zitterten vor Angst.
„Dann nehmen Sie den Roten, Gun. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren!“
„Ich kann nicht, Sir. Wir sollten auf die Bombenexperten vom DSI warten“. Gun ließ die Kneifzange fallen. Der Aufprall des Metallteils schallte unwirklich durch die Tiefgarage. Wieder löste sich ein Schweißtropfen von seiner Stirn und perlte unaufhaltsam in Richtung Süden.
„Gun, das DSI hat abgewinkt. Der Chef hat Ihnen, Ihnen ganz alleine, den Auftrag übertragen. Rot oder Blau?“ Jetzt klangen Chaiyons Worte autoritär.
„Was hat Polizeichef Thanee mit dem DSI zu tun, Sir?“
„Ich weiß es nicht Gun!“
„Hören Sie, Sir. Die Uhr tickt!“, schrie Gun.
...tick...tick...tick...tick…
„Rot oder Blau?“, fragte Chaiyon fordernd.
...tick...tick...tick...tick…
„Noi! Der Schweißtropfen! Was soll ich tun?“ Angsterfüllt blickten Guns Augen in eine unendliche Leere.
„Sir? Wo ist Noi?“
...tick...tick...tick...tick…
Guns rechte Hand griff zur Seite, tastete den Raum ab, da wo er Chaiyon vermutete.
...tick...tick...tick...tick…
Die Nachttischlampe fiel vom Tisch auf den Teppichboden. Schweißgebadet schoss Guns Oberkörper in die Senkrechte. Sein durchgeschwitzter Schlafanzug klebte an Brust und Armen. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf das vertraute Gemälde gegenüber dem Bett, das die Ruinen Sukhothais im Sonnenuntergang zeigte. Die Glühbirne der Nachttischlampe war trotz des Aufpralls nicht zerbrochen und leuchtete. Guns linke Hand ruhte auf dem Buchdeckel des Romans Si Phaendin . Das Buchzeichen lag auf der mit Blumenmustern bestickten Überdecke. Sein fahriger Blick wanderte zu seiner Frau, die seine Unruhe nicht wahrnahm. Sie schlief auf der Seite und ihr Gesicht war von ihm abgewandt.
Gun hob die Lampe auf und stellte sie zurück auf den Nachttisch. Dann ging er ins Badezimmer, zog seinen Schlafanzug aus und stellte sich unter die Dusche. Reglos stand er unter der Brause und ließ das heiße Wasser über seinen Kopf und seine Schultern rieseln.
Die Stunden nach der Verhaftung der Yakuzas waren für alle Beteiligten hektisch gewesen, sodass Gun wenig Zeit geblieben war, über den Anruf des Mädchens nachzudenken. Auf der Pressekonferenz am Abend, die in der Zentrale des DSI stattgefunden
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