Sonne, Schnee und Tote
Natürlich waren ihm auf dem
Weg hierhin Zweifel und der Gedanke gekommen, dass diese ganze Aktion
übertrieben und unüberlegt war. Weder hatte er näher darüber nachgedacht, noch
einen ausgearbeiteten Plan erarbeitet und nicht einmal Überlegungen zu Sinn und
Zweck dieser Unternehmung angestellt. Er war einem Instinkt gefolgt. Der vagen
Hoffnung gefolgt, bei einem Gespräch mit Imar Sinan, irgendetwas
herauszufinden, was er bislang nicht wusste oder ein Detail zu erfahren, sodass
er am Ende nicht als unfähiger Verlierer mit krimineller Vergangenheit in der
Öffentlichkeit dastand.
Du
verhältst dich wie ein kopfloser Idiot ,
dachte er zerknirscht und überlegte ernsthaft, zum Revier zurückzukehren und
sich wieder mit den Gebäudeplänen auf seinem Schreibtisch zu beschäftigen. Das,
was er hier tat, war nicht zielführend, ganz gewiss nicht.
Minutenlang
saß er unentschlossen hinter dem Steuer seines am Straßenrand stehenden Wagens.
Der Regen wurde vom Wind mit beständiger Gewalt gegen die Windschutzscheibe
geworfen. Das Prasseln übertönte die Stimme aus dem Radio, die gerade die
Nachrichten zur vollen vierzehnten Stunde, verkündete.
Kees
schloss die Augen. Er konnte nicht erklären, was in seinem Inneren seit dem
Morgen vorging. Es war wie ein fürchterlicher Cocktail, der ihm ein flaues
Gefühl im Magen bereitete und Kopfschmerzen verursachte. Das war nicht die
gewohnte Angespanntheit voriger Fälle, die ihn durch Neugier und den bloßen
Drang, seine Arbeit bestmöglich verrichten zu wollen, immer weiter vorantrieb.
Das hier war ganz und gar mies. Nicht, weil er alles an diesen Fall setzen
musste, um seinen Ruf und sein ganzes Dasein als Polizei Inspektor zu wahren,
auch nicht, weil die Öffentlichkeit bereits auf ihn zeigte und der Druck immer
größer wurde. Eher plagte ihn (das erste Mal in seiner Laufbahn) die
Befürchtung, dass er just in diesem Moment auf ganzer Linie versagte, als
Ermittler, Organisator und auch als Mensch mit einem wachen Geist. Denn eine
derartige Fehlleistung, wie die am Hafen vorhin, war ihm nie zuvor unterlaufen.
Natürlich
hatte auf dem Namensschild Jimmy gestanden. Natürlich hatte er nicht gewusst,
wie Imar Sinan aussah und natürlich hatte der Kerl ihm auch nicht freiwillig
verraten, dass er es war. Bloemberg hatte es einfach so hingenommen, das Namirs
Bruder ihn eiskalt angelogen hatte. Er war weder kritisch noch vorsichtig
geworden. Stattdessen hatte er sich so auf die anstehende Befragung fokussiert,
dass ihm all die Ungereimtheiten, die Sinan optisch wie verbal geliefert hatte,
nicht aufgefallen waren.
Ob
das die ersten Anzeichen einer Überforderung waren?
Kees
mochte nicht darauf antworten. Als er die Augen wieder öffnete, war er nur
sicher, dass er an einem Punkt stand, an dem er nur noch konsequent
weitermachen konnte; ja, vermutlich sogar unwiderruflich musste. Alles andere
bedeutete zwangsläufig, die weiße Fahne zu hissen und sich geschlagen zu geben.
Vielleicht
hatte er verloren, wahrscheinlich kämpfte e er vergeblich gegen alle
Widrigkeiten an, aber unterkriegen lassen würde er sich bis zum Schluss nicht.
Rund
36 Stunden blieben ihm noch. 36 Stunden die es galt so gut es ging zu nutzen.
Mit
einer gehörigen Portion Trotz im Bauch riss er die Fahrertür auf und stapfte
hinaus in den Regen, legte das kurze Stück Weg zwischen Auto und Haus zurück
und betätigte den am Rahmen befestigten Messingklingelknopf.
Der
Regen perlte von seinem Mantel. Niemand öffnete.
War
ja klar …
Erneut
betätigte er die Klingel mit gleichem Ergebnis. Licht, Bewegung oder irgendein
anderes Anzeichen, das von der Anwesenheit einer Person im Haus kündete, konnte
Bloemberg durch die großen Fenster in der Häuserfront nicht erkennen. Die
einfache Erklärung war, dass dort keiner war, kein Imar und auch sonst niemand
und selbst wenn, war er nicht willens dem Inspecteur die Tür zu öffnen.
Bloemberg
drückte ein letztes Mal den Knopf, dann trat er gegen die Tür. Eine Handlung,
die einzig seinen inneren Groll in eine physische Bewegung übersetzte, eine
schnelle harte Bewegung, der die Tür nichts entgegenzusetzen hatte. Sie schwang
nach hinten auf, krachte gegen die Flurwand und federte zurück. Grund dafür war
nicht die aufgewandte Kraft sondern die Tatsache, dass das Hindernis vor dem
Kees stand nicht abgeschlossen und nicht einmal ordentlich ins Schloss gefallen
war.
Den
unerwartet aufgetanen Weg vor Augen zögerte er eine Sekunde, fing die Tür in
ihrem
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