Sonne, Schnee und Tote
Jetzt hatte er vollends den Eindruck, einen
großen Fehler zu begehen. Wieso war er hier? Hatte er sich nicht schon tief
genug in die Scheiße manövriert? Wenn Nicolas van Houden Wind von der Sache
bekam, wollte er gar nicht wissen, was dann passieren würde. Es stand diesmal
nicht weniger als seine Zukunft auf dem Spiel. Und wofür? Für einen Kerl, den
er nicht einmal persönlich kannte. Für eine Frau, von der er nichts wusste?
Kees fand einfach keinen vernünftigen Grund für sein Handeln. Dennoch blieb er,
beobachtete einen türkisgrünen Kleinwagen, der mit den gebotenen dreißig
Stundenkilometern (wohlmöglich sogar etwas zu langsam) an ihnen vorbeifuhr, und
betätigte die Klingel erneut.
Neben
ihm wurde Niandee Nasingh zusehends unruhiger. Mit einem Fuß scharrte sie auf
dem Boden, setzte immer wieder ihr Gesicht an die Glasfront und schaute
hindurch, als hoffte sie, dadurch eine Bewegung zu erspähen, die ihr
andernfalls entging. Aber da war nichts. Das Foyer lag vor ihnen wie
ausgestorben. Die Lampen an der Decke waren ausgeschaltet. Die Zwischentür zu den
Räumen der Lagerhausverwaltung war geschlossen. Selbst wenn man gewusst hätte,
dass sich um diese Zeit noch irgendwer im Gebäude aufhielt, war es schwer, das
zu glauben, denn es wirkte völlig verwaist.
Bloembergs
machte einen Schritt zurück und schaute sich um. Neben dem Firmenschild fiel
sein Blick auf einen Mückenschwarm, der am Rande des Bürgersteigs kreiste und
langsam näher kam. Gedankenverloren beobachtete Kees, wie die Tiere scheinbar
planlos hierhin und dorthin schwirrten, sich im Verbund jedoch erstaunlich
geradlinig auf Niandee und ihn zubewegten. Jede Mücke für sich strebte in eine
andere Richtung und daraus ergab sich dennoch ein gemeinsames Ziel.
Verrückt , dachte Kees, trat zurück an die Tür
und klingelte zum dritten Mal.
Eine
weitere Minute verstrich ohne Ergebnis und Bloemberg, der mit dieser Tatsache
wesentlich besser leben konnte als seine Begleiterin, war drauf und dran zu
entscheiden, dass es genug der sinnlosen Warterei war. Doch, als habe jemand
seinen Plan, die ganze Sache abzubrechen, erahnt, öffnete sich jäh die
Zwischentür und in verstörter Ängstlichkeit lugte Nasridim Hadoshs Ehefrau,
Fatmanour, durch den entstandenen Spalt. Als sie den hoch aufgeschossenen
Inspecteur erkannte, war ihr die Erleichterung deutlich anzusehen. Mit einigen
schnellen Schritten war sie beim Eingang drehte den Schlüssel im Schloss und
öffnete.
Kees
grüßte sie und versuchte in wenigen Worten zu erklären, weshalb er da war, aber
mitten in der Erklärung zog sie ihn bereits am Arm und flüsterte: „Ich weiß,
wieso sie gekommen sind.“
„Hinein,
hinein“, forderte sie, verriegelte die Tür und schob die beiden in den Flur.
Erst dort fiel ein Teil der Hektik von ihr ab, auch wenn sie weiter angespannt
wirkte. „Also?“, fragte Kees und konnte sich die folgende Antwort im Grunde
selbst geben.
„Der
Anruf bei der Polizei … Ich war das. Ich habe ihn gefunden. Wir müssen uns
beeilen. Nasri ist unterwegs, sonst hätte er ihn raufholen können, aber mein
Mann ist seit heute Morgen weg ... Ich … Ich weiß nicht, wer ihn da unten
gefangen gehalten hat, aber … bitte, schauen Sie mich nicht so an. Ich schwöre,
ich wusste nichts. Ich …“
„Wo
ist er?“, fuhr Niandee der kleinen zierlichen Frau mit dem schleierverhüllten
Haar ins Wort.
„Unten
… Er ist in der Kellerebene. Und … er sieht schlecht aus. Er braucht dringend
Hilfe.“
„Worauf
warten Sie dann noch?“
„Ich
… Ich …“ Fatmanour schaute Kees Hilfe suchend an. Der klopfte Niandee die Hand
auf die Schulter und versuchte sie zu beruhigen. Er hatte damit nur mäßig
Erfolg. Die Tatsache, dass Karim tatsächlich hier und sein Gesundheitszustand
offenbar nicht der Beste war, hatte in der jungen Frau etwas ausgelöst, das
Kees als panisch angespannt einstufte. Niandee war krank vor Sorge. Sie war es
schon vor Tagen gewesen, am Abend in Jack Dunken’s Jetzt brach ihre kühle
Fassade jäh zusammen und offenbarte ihre ganze Verzweiflung.
„Gehen
wir“, entschied Bloemberg und ersparte Fatmanour fürs Erste all die Fragen, die
der Umstand von Karims Anwesenheit in diesem Lagerhaus in diesem Augenblick bei
ihm aufwarf. Er vertröstete sich selbst mit der Vermutung, dass sich später
ohnehin alles aufklären würde. Und wenn er ein bisschen Glück hatte, würde das
helfen, seinen ramponierten Ruf zumindest teilweise wiederherzustellen. Er
erlaubte
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