Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonne, Schnee und Tote

Sonne, Schnee und Tote

Titel: Sonne, Schnee und Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Biesenbach
Vom Netzwerk:
Um
mehrere kleine braune Flecken etwas abseits der großen Lache waren weiße Kreise
gezogen worden. Möglicherweise waren es Teilschuhabdrücke, die jedoch durch die
Verschiebung der Teppichschlingen nicht zuzuordnen sein würden. Bloemberg
verharrte noch einen Moment und rieb sich nachdenklich das Kinn, dann stemmte
er sich langsam wieder hoch und schaute sich ein weiteres Mal im Raum um. Das
hereinfallende Licht der Abendsonne verlieh allem einen unpassend warmen Ton.
„Sagen Sie, Herr Hadosh, ist Ihnen bei Ihrem Sohn in letzter Zeit irgendetwas
Ungewöhnliches aufgefallen? Verhielt er sich anders als sonst? Hat er sich
merklich zurückgezogen? War er schweigsam?“
    „Wie?
… Nein …“, Hadosh räusperte sich, dann schluckte er den Klos im Hals herunter,
der ihn am Sprechen zu hindern versuchte.
    „Nein,
es ist nichts aufgefallen“, krächzte er. „Mein Junge war immer sehr
verschlossen. Sorgen machte er mit sich selbst aus. Hat sich nie beschwert,
gejammert oder widersprochen. Er war ein wahrer Mann, hat nie eine Träne
vergossen.“
    „Und
Feinde? Hatte er oder Ihre Familie welche? Neider? Geschäftskonkurrenz?“
    „Feinde?
Keine Ahnung, worauf Sie hinaus wollen, Inspecteur. Schauen Sie sich um,
schauen Sie mich an. Wir sind eine tunesische Familie, leben aber seit mehr als
drei Jahrzehnten hier. Die Kinder kamen alle hier zur Welt. Wir sind eine
normale, integrierte Sippe mit einer großen Fleischerei. Wir beliefern die
Gastronomie in der Gegend mit Fleisch, das den Riten und Vorschriften einzelner
Religionen entspricht. Konkurrenz? Feinde? Nein, das wohl kaum. Und Namir? Der
Junge hat sich gut gemacht, wäre im nächsten Jahr Lagerverwalter hier geworden
und hätte in ein paar Jahren zusammen mit meinem Ältesten, Ikbar, den Betrieb
übernommen.“
    „Hm,
nun gut.“
    Klassischer
Fall von Raubmord würde ich sagen, ging es Bloemberg beim weiterschweifenden Rundumblick durch den Kopf. Sofern
dies hier kein Akt von Rache oder persönlicher Feindschaft war, deutete bislang
alles darauf hin. Man schien den Jungen zuerst dazu gezwungen zu haben, die
Zahlencodes für die Türen herauszugeben und hatte ihn dann hier so lange
gefoltert, bis er auch noch die Kombination für den Safe rausgerückt hatte.
Danach hatte man ihn getötet und sich den Inhalt, was auch immer es gewesen
sein mochte, unter den Nagel gerissen. Irgendetwas in Bloembergs Inneren
weigerte sich jedoch, diese naheliegende Einschätzung so einfach zu glauben.
Etwas fühlte sich hier nicht richtig an. Irgendein Detail schien nicht zu
passen. Er konnte nur nicht sagen, was das war.
    „Wurde
etwas geklaut?“, fragte der Inspektor unvermittelt.
    „Ich
… keine Ahnung. In der ganzen Aufregung hatte ich … keine Zeit. Ich bewahre
keine besonderen Wertgegenstände hier auf.“
    „Nicht
mal in dem aufgebrochenen Safe?“
    „Da
sind verschiedene Unterlagen drin und ein bisschen Bargeld, aber das nehme ich
zum Wochenende immer heraus. Es gab hier nichts zu klauen, was es wert gewesen
wäre, meinem Jungen das anzutun.“
    „Verstehe“,
sagte Bloemberg. Seine Augen blieben für Sekunden auf den zertrümmerten
Überresten eines kleinen Bilderrahmens hängen, der vormals auf dem Schreibtisch
gestanden haben musste. Das Glas war zersprungen, aber das Bild darin
unversehrt geblieben. Es zeigte Nasridim Hadosh inmitten seiner Familie.
    Donnerwetter,
eine richtige Großfamilie.
    Insgesamt
schaute Bloemberg in acht Gesichter. Hadosh und seine Frau befanden sich im
Zentrum der Aufnahme, außerdem vier Mädchen im Alter zwischen etwa vier und
maximal zehn Jahren und zwei Jungen. Der eine war damals etwa sechzehn gewesen,
während der andere ein paar Jahre jünger gewesen sein mochte. Die Familie war
zweifelsohne bereits vor etlichen Jahren abgelichtet worden. Es war ein
klassisches Familienporträt. Ein Bild, das man zwecks diverser Jubiläen oder
Geburtstage von bezahlten Fotografen machen ließ. Nasridim Hadosh hatte darauf
noch volles schwarzes Haar und deutlich weniger Falten. Im Hintergrund war eine
schlichte weiße Wand zu sehen. Alle Familienmitglieder standen in feinsten
Zwirn gekleidet nebeneinander. Hadoshs Frau saß auf einem Stuhl vor ihrem
Ehemann. Das jüngste Mädchen hockte auf ihrem Schoß. Es trug ein gelbes
Sommerkleidchen, während ihre Mutter in schwere schwarze Seide gehüllt war. Auf
allen Gesichtern lag ein ernster Ausdruck. Namir Hadosh war offensichtlich der
jüngere der beiden Hadosh-Söhne gewesen. Während Ikbar dicht

Weitere Kostenlose Bücher