Sonne, Schnee und Tote
finden, elendig verrecken würden“, sagte er in den
leeren Raum hinein, als erwartete er von irgendjemandem eine Bestätigung. Die
sich kreuzenden Flure bedachten ihn mit beständigem Schweigen. Von Hadosh keine
Spur.
„Nasridim
Hadosh?“, fragte Kees trotzdem probehalber. Keine Antwort. Also traf er eine
Entscheidung, machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück in die Richtung, aus
der er gekommen war. Er war nicht scharf darauf, sich in diesem Gebäude zu
verirren.
Zwei
Minuten später stand er wieder im Kühlraum, in dessen Mitte Namir Hadosh tot
auf dem Holzstuhl weilte. An der Szene hatte sich nicht viel geändert. Noch
immer hielt der Tote den Schneeball in den gefesselten Händen. Kees bemerkte,
dass ein größeres Stück davon abgeschabt worden war. Vermutlich hatten die
Spurensicherer die von ihm verlangte Probe mittlerweile genommen. Niemand sonst
war hier drin.
Von
Karim Abusif fehlte jede Spur und hätte Bloemberg dieser Tatsache in diesem
Augenblick mehr Aufmerksamkeit gewidmet, hätte das der ganzen Geschichte
vielleicht eine andere Wendung gegeben. Er dachte sich nichts dabei,
betrachtete nur noch einmal kurz den Toten und war unaufmerksam für alles
andere. Letztendlich ging er hinaus, um sich mit Fred Maartens zu besprechen.
***
Kapitel 2
18:45,
Rotterdam, Montevideo
Dick
Vanderloh saß allein in der Redaktion des Rotterdams Dagblad . Es war ein
Büroraum im sechzehnten Stockwerk des Montevideo ,
dem zweithöchsten Gebäude der Niederlande. Leisten konnte sich das kleine,
regionale Blatt die Miete für die Räumlichkeiten dank eines großzügigen
Spenders aus der Rotterdamer Oberschicht, für dessen Konzern die Zeitung in
unbestimmten Abständen lobende Artikel veröffentlichte. Man hatte Vanderloh den
Bereitschaftsdienst für das Wochenende aufgebrummt, weil er in der vergangenen
Woche eine Story über steigende Wohnungsmieten im Stadtzentrum vermasselt
hatte. Deshalb hing er seit über acht Stunden hier herum, statt – wie
ursprünglich angedacht – am Gericht im Stadtteil Feyenoord. Dort begann heute
der mit Spannung erwartete Prozess gegen Liam Sleghts, dem berüchtigten
Bankräuber, der auf der Flucht nach seinem letzten Clou von der Polizei
niedergeschossen und schwer verletzt worden war. Seit Wochen war unter
Journalisten der Auftakt der Verhandlungen das Gesprächsthema gewesen. Jeder
beim Rotterdams Dagblad hatte sich um die Story gerissen. Vanderloh
hatte sie bekommen und sein Glück kaum fassen können, dann jedoch hatte er
kläglich versagt und der Chefredakteur hatte Inge von der Klatschsparte den
Auftrag zugewiesen. Dick war aus dem Rennen gewesen und dazu verdammt worden,
allein im Montevideo zu hocken, in der Hoffnung, dass irgendwer telefonisch
etwas Weltbewegendes mitzuteilen hatte, vornehmlich kurzfristige Anfragen zu
Werbeanzeigen für die Montagsausgabe.
An
diesem Samstag war das Telefon verdächtig ruhig geblieben. Die meiste Zeit
schaute Vanderloh deshalb auf das TV-Gerät in der Ecke, nur um sich alle zwei
Minuten mit seinem Bürostuhl einmal herumzudrehen und gelangweilt durch die
Glasfront hinunter auf den Wilhelmina-Pier zu schauen.
Dick
war nie ein besonders guter Journalist gewesen. Das wusste er nicht nur von
seinen Professoren an der Journalistenschule, sondern war vielmehr eine
Erkenntnis, zu der er in den letzten Jahren gelangt war. Seine Artikel waren
bestenfalls mittelmäßig und hatten in der Vergangenheit bei größeren Zeitungen
häufig nur als Lückenfüller gedient. Darüber hinaus wuchsen den Lektoren bei
Dicks schlampigem Umgang mit korrekter Orthografie und Zeichensetzung
regelmäßig graue Haare. Außerdem hatte er sich mit dem ein oder anderen
schlecht recherchierten Artikel nicht ausschließlich Freunde gemacht. An den
Job bei Rotterdams Dagblad war er vermutlich auch nur herangekommen,
weil sein Vater einige gute Beziehungen hatte spielen lassen. So war er
immerhin vom freien Journalisten zu einem geworden, der ein festes Einkommen
erhielt. Er wusste, dass er damit zufrieden sein musste, aber insgeheim träumte
er natürlich davon, einmal eine ganz große Story herauszubringen. Er war sich
der Utopie dieses Wunsches durchaus bewusst, denn irgendwie hatte er das
Talent, ständig einen Augenblick zu spät vor Ort oder gar nicht dort zu sein,
wo gerade etwas Weltbewegendes oder Sensationelles geschah. Und doch würde die
Hoffnung darauf zuletzt sterben, schließlich ging er erst auf das dreißigste
Lebensjahr zu und wusste, dass
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