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Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun

Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun

Titel: Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul McAuley
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Ungezogenheit – Wutanfälle und Trotz, aufkeimender Zorn und der ganze Rest – von Veränderungen im Gehirn während seiner abschließenden Reifung im Zuge der Pubertät verursacht wurde. Die Auswirkungen dieser neuen Verknüpfungen waren bei Jungen ausgeprägter als bei Mädchen, weil diese Veränderungen nicht nur von großen Mengen Testosteron, die im Blutkreislauf zirkulierten, stimuliert wurden, sondern auch in einem kleineren Zeitrahmen ablaufen mussten und deshalb eine radikale Trennung von Gefühlszuständen und höherem Bewusstsein bewirkten.
    Im Grunde, dachte Sri, handelte es sich um eine der Nebenwirkungen der extrem konservativen Natur der Gehirnevolution. Trotz enormer Unterschiede in der körperlichen Gestalt besaßen alle Wirbeltiere die gleiche Grundstruktur – Vorderhirn, Mittelhirn und Kleinhirn –, welche die gleichen Funktionen besaß. Während der Neokortex bei Säugetieren (und vor allem beim Menschen)
überproportional gewachsen war, wurde er von einem limbischen System unterstützt, das dem von Reptilien, Amphibien und Fischen glich. Und die Mechanismen, die Grundgefühle wie Freude, Schmerz, Wut, Angst, Überraschung und Empörung regulierten, waren allesamt Teil des limbischen Systems.
    Diese Gefühle und die damit verbundenen typischen Gesichtsausdrücke wurden in jeder menschlichen Kultur verstanden. Sie waren im Gehirn fest verankert und wurden häufig innerhalb weniger Millisekunden, nachdem sie ausgelöst worden waren, zum Ausdruck gebracht. Ausgelöst wurden sie durch die Stimulation des Thalamus, ohne das Eingreifen höherer Funktionen im Neokortex, so dass Menschen also in Zustände von Furcht oder Zorn versetzt wurden, ohne zuvor eine bewusste, logische Analyse des Auslösers vorzunehmen. In evolutionärer Hinsicht war diese Abkürzung eine ausgesprochen nützliche Überlebenstechnik. Wurde man von einem Löwen angegriffen, musste man sofort davonrennen. Würde man sich die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, ob man rennen sollte oder nicht, würde man getötet und verspeist werden. Aber weil die Menschen nicht mehr in der afrikanischen Savanne lebten, hatten viele Situationen, die diese Grundgefühle auslösten, nichts mehr mit dem unmittelbaren Überleben zu tun, was bedeutete, dass viele Kulturen und Individuen verstärkte Reaktionen auf Situationen zeigten, die dieser gar nicht bedurften. Und das zeigte sich am deutlichsten bei männlichen Jugendlichen – sie kamen ohne Zwischenstufe von null auf hundert, und es gab keine Möglichkeit, mit ihnen vernünftig zu reden, weil ihr Verhalten nicht vernunftgesteuert war: Das Bewusstsein wurde erst später eingeschaltet und produzierte im Nachhinein Rechtfertigungen für das irrationale Verhalten.

    Eine zweite Gruppe universaler Emotionen – das Erröten wegen Verliebtheit, Schuld oder Scham; der Stachel von Stolz, Neid und Eifersucht; das angenehme Gefühl von Akzeptanz durch andere, das von den Japanern amae genannt wurde – waren mit den höheren Funktionen des Kortex verknüpft und brauchten länger, um zu entstehen und wieder abzuklingen als die Grundemotionen. Manche, wie Eifersucht oder Scham, wurden von anderen Primaten geteilt und sogar von anderen Säugetieren. Andere, wie Neid oder Schuld, kamen offenbar ausschließlich beim Menschen vor. Es gab zahlreiche Spekulationen über Situationen, in denen Primaten oder Säugetiere Letztere angeblich an den Tag gelegt hätten, doch Sris Ansicht nach war bisher noch kein zweifelsfreier Beweis erbracht worden. Alle diese Emotionen waren im Grunde sozial bedingt und wurden durch Interaktion mit Artgenossen ausgelöst und weniger durch Umwelteinflüsse. Und weil es im Vergleich zu den Grundemotionen länger dauerte, bis sie sich entwickelten, spielte der allgemeine Grundzustand oder die im Gehirn vorherrschende Stimmung dabei eine größere Rolle. Außerdem hatten die Erfahrungen, die ein Individuum machte, einen Einfluss darauf. Grundemotionen wie der Fluchtreflex unterschieden sich von Kultur zu Kultur nur minimal, doch höhere kognitive Emotionen zeigten eine größere Variationsbreite.
    Wenn man Menschen also rationaler machen wollte, dachte Sri, müsste man die Grundemotionen unterdrücken, vielleicht indem man die Schwelle der Auslöser anhob, und Emotionen verstärken, die mit höheren kognitiven Funktionen verknüpft waren. Von diesen war amae die interessanteste. Auch wenn es dafür kein Wort im Portugiesischen, Englischen oder einer der anderen wichtigen Sprachen

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