Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
erfüllen, die der General ihr gestellt hatte.
Sie las einen Bericht darüber, wie Yuli in ihrem Versteck auf einem der toten Schiffe der Außenweltler entdeckt worden war, und über die Konstruktion, mit deren Hilfe sie mehr als ein Jahr im Kälteschlaf im Innern eines leeren Treibstofftanks überlebt hatte. Ausgerechnet Loc Ifrahim hatte nach Yulis Wiederbelebung ihren Fluchtversuch aus dem Krankenhaus vereitelt. Der Tank, in dem sich das Mädchen versteckt hatte, war aus dem Shuttle entfernt und zu Diones Oberfläche hinuntergebracht worden. Jetzt lag er in einer Sicherheitszone auf dem Militärraumhafen westlich des Habitats unter einem Schutzdach verborgen. Eine
Kugel von sechs Metern Durchmesser, die zur Hälfte mit dem schwarzen Schorf eines flechtenähnlichen Vakuumorganismus bewachsen war und wie eine riesige Christbaumkugel auf einem Gerüst ruhte. Sri wurde die Luke gezeigt, die in die Oberfläche des Tanks geschnitten worden war, und das Nest, das Yuli sich zwischen zwei der Spritzschutzplatten eingerichtet hatte, die wabenförmig das Innere des Tanks durchzogen. Der Vakuumorganismus, der einen Teil der Oberfläche bedeckte, war von einem tiefen, glänzenden Schwarz. An manchen Stellen so glatt wie vergossene Farbe, bildete er an anderen dünne, steife Plättchen oder vasenförmige Gebilde, die an mutierte Begräbnisgestecke erinnerten. Der Techniker, der die Pseudo-DNA sequenziert hatte, teilte Sri mit, dass es sich um eine schnellwachsende Variante einer weit verbreiteten Stammkultur handelte, die Sonnenlicht absorbierte und elektrischen Strom produzierte.
»So um die 0,6 Watt auf der gesamten Oberfläche. Nicht sehr viel, aber genug, um die Batterie nachzuladen, mit der das Mädchen ihre Ausrüstung betrieben hat. Außerdem wuchs er weiter. Noch ein Jahr, und er hätte das gesamte Shuttle eingehüllt«, sagte der Techniker.
»Und er hat Kohlenstoff und andere Substanzen aus der Hülle des Shuttles als Grundlage benutzt?«
»Ja, Ma’am. Aber die Wurzelfäden reichen nicht sehr tief, so dass das Schiff nicht beschädigt wurde.«
»Sie hatte offenbar vor, längere Zeit im Kälteschlaf zu verbringen«, sagte Sri.
»Wir glauben, dass sie mindestens zehn Jahre auf diese Weise hätte überleben können«, sagte der Techniker.
»Die Veränderung des Delta v des Shuttles hat den Wiederbelebungsprozess eingeleitet?«
»Ja, Ma’am. Ein einfacher Neigungssensor. Zum Glück wurde sie entdeckt, bevor sie erwacht war.«
»Sie hat sich gut versteckt. Ist nicht im Innern des Schiffes geblieben. Ihr war also klar, dass das Schiff möglicherweise von ihren Feinden entdeckt werden könnte«, sagte Sri.
Sie versuchte, sich die Voraussicht und Ruhe vorzustellen, mit der das Mädchen und die anderen Passagiere des Shuttles Vorkehrungen für ihr Überleben getroffen hatten. Es war beeindruckend. Ebenso wie die Tatsache, dass sich die anderen Passagiere selbst geopfert hatten – allesamt Anhänger von Avernus, die tot und erfroren an Bord des Shuttles gefunden worden waren. Sri untersuchte die Pumpen und Filter und die Hefekultur, die Yuli am Leben erhalten hatten, und führte danach eine lange und interessante Unterhaltung mit dem Team, das das Genom und Proteom des Mädchens analysiert hatte.
Offenbar war Yuli Avernus’ biologische Tochter und kein Klon. Außerdem waren an den Genen, die die Entwicklung von Gehirn und Nervensystem des Mädchens steuerten, eine Reihe von faszinierenden Veränderungen vorgenommen worden. Ihr Hippokampus war vergrößert. Sie verfügte über ein ungewöhnlich dichtes Netz synaptischer Verbindungen in ihrer Formatio reticularis, der Sehrinde, und dem Neocortex, besonders im Wernicke-Areal, dem sensorischen Sprachzentrum. Das Myelin, das die Axone ihrer motorischen und sensorischen Nerven einhüllte, war ebenfalls leicht verändert worden. Kurz gesagt, die Geschwindigkeit des Aktionspotenzials ihrer Nerven war erhöht, weshalb sie schnellere Reflexe hatte als ein normaler Mensch und auch rascher Informationen verarbeiten und Entscheidungen treffen konnte. Es gab noch weitere Veränderungen. Manche davon waren unter den Außenweltlern gang und gäbe – körperliche Anpassungen an die niedrige Schwerkraft, Veränderungen an der Netzhaut, so dass sie auch bei
schlechten Lichtverhältnissen gut sehen konnte, und so weiter –, aber darüber hinaus waren auch die Struktur der Muskelfasern, die ATP-Produktion und – Speicherung in den Mitochondrien und die Sauerstofftransportfunktion
Weitere Kostenlose Bücher