Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
hingegen schon.
Zwei Leute, ein Mann und eine Frau, kamen aus der Wohnung. Das Herz des Spions begann schneller zu schlagen, aber dann sah er, dass die Frau nicht Zi Lei war.
Er sagte sich, dass er in zehn Minuten das Warten aufgeben und an ihre Tür klopfen würde. Und zehn Minuten später beschloss er, noch einmal zehn Minuten verstreichen zu lassen. Und so verging die Zeit, bis eine Frau die Wohnung verließ und über die Terrasse zu der Seilbahn schlenderte, die diese mit den tieferen Ebenen verband. Es war nicht Zi Lei. Oder doch? Er wusste, dass sie es war. Zi Lei, gertenschlank, in einer gelben Tunika mit einer weißen Hose darunter. Sie hatte ihre Haare lang wachsen lassen und sie zu einem glänzenden schwarzen Zopf geflochten, der zu ihrer Hüfte hinabhing. Sie trug etwas in einer Schlinge zwischen ihren Brüsten. Einen Säugling. Vorsichtig hielt sie sein Köpfchen fest, während sie auf eine der kleinen Plattformen der Seilbahn stieg, und verschwand außer Sicht.
In ihrer Akte hatte nichts von einem Säugling gestanden. Das Kind musste jemandem gehören, mit dem sie die Wohnung teilte.
Der Spion folgte Zi Lei zum Boden der Kammer. Als sie die Gemeinschaftsküche betrat, ging er an ihr vorbei, überquerte eine Brücke, die über den See hinwegführte, fuhr eine Ebene hinauf und stellte sich an den Rand der Terrasse, von wo aus er freie Sicht über das Wasser zu der Küche hatte. Zi Lei saß an einem langen Tisch, zusammen mit dem Mann und der Frau, die zuvor aus ihrer Wohnung gekommen waren. Sie hatte ihre Tunika aufgeknöpft und den Säugling aus der Schlinge genommen. Nun ruhte er in der Beuge ihres linken Arms und saugte gierig an ihrer Brust.
»Ein schönes Bild gewöhnlichen menschlichen Lebens«, sagte ein Mann hinter dem Spion.
Er drehte sich um, und der Mann lächelte ihn an und sagte: »Hallo, Dave.«
Bevor der Spion seine Identität als Ken Shintaro erhalten hatte und nach Paris, Dione, geschickt worden war, hatte er den Namen Dave getragen. Und alle seine Brüder hatten ebenfalls Dave geheißen. Er war Dave #8 gewesen. Der Mann, der ihm nun zulächelte, war Dave #27. Er war der Klügste von ihnen allen gewesen und der beste Freund von Dave #8. Jetzt sagte er: »Es hat lange gedauert, bis du sie gefunden hast. Ich habe dich schon für tot gehalten.«
»Ich war in Paris«, sagte der Spion. »Und dann auf Iapetus. «
»In Paris haben wir natürlich nach dir gesucht. Du hast dich wirklich gut versteckt.«
»Ich habe die Identität eines Toten angenommen.«
»Felice Gottschalk. Dein Aussehen hast du ebenfalls verändert«, sagte Dave #27. »Auch gar nicht mal schlecht. Jedenfalls hat es gereicht, um uns in die Irre zu führen.«
»Ich hatte Glück. Die Aufzeichnungen der Stadt hatten während des Krieges Schaden genommen«, sagte der Spion.
»Und jetzt hat dich dein Glück verlassen«, sagte sein Bruder.
Sie waren beide blass und dünn und genauso groß. Aber Dave #27 hatte blondes Haar, während das des Spions schwarz war. Er hatte seine Haarfarbe mit Hilfe eines Retrovirus verändert, der auch seine Augen dunkler gefärbt hatte. Außerdem war sein Gesicht runder und seine Nase breiter und flacher.
»Wenn du mich hättest umbringen wollen, wäre ich bereits tot«, sagte der Spion. »Wahrscheinlich willst du, dass ich zurückkomme. Aber das werde ich nicht tun.«
»Wir haben tatsächlich gedacht, du seist tot«, sagte Dave #27. »Aber dann haben wir eine Frau namens Keiko Sasaki festgenommen. Sie war Teil des Widerstands. Während des Verhörs hat sie uns viele Namen verraten, darunter auch deinen. Oder jedenfalls den von Felice Gottschalk. Sie sagte uns, dass Gottschalk eigentlich Ken Shintaro heiße und nach einer Frau namens Zi Lei suche. Natürlich haben wir Paris noch einmal auf den Kopf gestellt. Und die DNA sämtlicher Bewohner mit den biometrischen Aufzeichnungen verglichen. Das war äußerst mühselig. Wir haben die gefälschten Daten gefunden, die du in die Akten eingeschleust hattest, aber dich konnten wir nicht finden. Danach haben wir in den anderen Städten gesucht, die von uns regiert werden, und irgendwann auch hier. Wir haben Zi Lei gefunden, aber du warst immer noch verschwunden. Weil du die ganze Zeit auf Iapetus gewesen bist, dem einen Ort, an dem wir nicht suchen konnten. Die Pazifische Gemeinschaft soll eigentlich unser Verbündeter sein, aber sie wollte uns nicht helfen, nach einer armen, verlorenen Seele zu suchen, die so unklug gewesen war, ihre ehrenvolle
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