Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
Flüchtling registriert. Vor zwei Jahren, kurz nach Ende des stillen Krieges, war sie aus einer Oase namens Pattersons Fluch abtransportiert worden. Sie teilte sich eine Wohnung mit anderen Flüchtlingen, arbeitete in einer Gemeinschaftsküche
und hatte bisher nicht gegen die Sicherheitsbestimmungen verstoßen. Der Spion las den kurzen Eintrag mehrere Male. Er fühlte sich gelassen und wachsam, aber nicht besonders aufgeregt. Er schmiedete bereits Pläne, wie er weiter vorgehen wollte.
Die Registrierungsmarke, die er in Paris erhalten hatte, als seine Mannschaft mit den Bergungsarbeiten in der Stadt begonnen hatte, steckte immer noch im Oberarmknochen seines linken Arms. Einer seiner Dämonen kopierte die biometrischen Daten der Marke in die Datenbank der Europäer und schuf einen gefälschten Eintrag, der die gestohlene Identität des Spions, Felice Gottschalk, zu einem gebürtigen Einwohner Xambas machte.
In die Stadt zu gelangen, war kein Problem. Sämtliche Farmröhren waren über Tagebautunnel mit einem zentralen Knotenpunkt verbunden, und eine kurze Eisenbahnlinie führte zu Xambas nördlichster Kammer. Um sechs Uhr morgens traf der Spion auf dem Bahnhof der Stadt ein. Die Soldaten, die für die Sicherheit verantwortlich waren, hatten gerade einen Schichtwechsel gemacht. Der Spion erklärte den beiden Soldaten am Kontrollpunkt des Bahnhofs, dass er ein Problem mit dem Hauptlüftungssystem einer der Farmröhren hatte beheben sollen. Die Soldaten überprüften den Systemeintrag, den seine Dämonen gefälscht hatten, in dem verzeichnet war, dass er die Stadt vor drei Stunden verlassen hatte, und winkten ihn durch.
Die fünf großen Kammern der Stadt waren Seite an Seite in den Ostrand des Xamba-Kraters gegraben. Sie wurden von Fußgängertunneln und einem Kanalsystem miteinander verbunden. Ein zweites Paar Soldaten überprüfte Felice Gottschalks Identität, bevor er den langen Tunnel betreten durfte, der zu der benachbarten Kammer führte, in der Zi Lei lebte. Der Boden des Tunnels war mit halblebendigem
Gras bedeckt, und die gewölbten Wände wurden von komisch-heroischen Malereien geziert, auf denen Horden von Gestalten in alten, hummerförmigen Druckanzügen Zelte und riesige Raumschiffe bauten, gegen Phantasie-Ungeheuer kämpften oder in Flugdrachenanzügen durch die Stürme des Saturns flogen.
Auf beiden Seiten der Kammer erhoben sich steile, terrassenförmige Abhänge, die Wohnungen, Läden, Cafés und Werkstätten beherbergten. In der Mitte befand sich ein Park, der dicht an dicht mit Zelten gefüllt war, in denen die Flüchtlinge untergebracht waren. Der Park war um einen schmalen See herum angelegt, auf dessen trägen Wellen hochbordige Boote schwammen. Die Lichter des Lüsters waren immer noch heruntergedreht, und nur wenige Frühaufsteher waren unterwegs. Eine Gruppe von Arbeitern errichtete an einem Ende des Sees eine Gemeinschaftsküche. Auf einem Anlegesteg hatten sich einige ältere Männer und Frauen versammelt, um Tai Chi zu machen.
Zi Leis Wohnung befand sich auf einer hoch gelegenen Terrasse nahe der großen, durchsichtigen Seitenwand, die auf den Xamba-Krater hinausführte. Draußen herrschte Nacht, und die dicht bebauten Terrassenstufen, die sich zu beiden Seiten des zentralen Gartens erhoben, spiegelten sich trübe in den Baudiamantscheiben der Seitenwand.
Der Spion saß unter einem Feigenbaum, der sich an der Wand am äußersten Ende der Terrasse hinaufrankte. Von hier aus hatte er eine gute Sicht auf die Tür von Zi Leis Wohnung und konnte beobachten, wer hineinging und herauskam. Er saß dort lange Zeit mit überkreuzten Beinen, ohne sich von der Stelle zu rühren oder auf die Blicke der Passanten zu achten. Er konnte Zi Lei keine Nachricht schicken, weil die Sicherheits-KIs der Besatzer sämtliche Anrufe und Textnachrichten überwachten. Und er wollte
auch nicht an die Tür der Wohnung klopfen, weil Zi Lei sie mit sechs anderen Flüchtlingen teilte. Wenn sie wieder vereint waren – so nannte er es jetzt im Geiste bei sich –, wollte er mit ihr unter vier Augen sprechen. Er fragte sich, ob sie ihn trotz der chirurgischen Veränderungen an seinem Gesicht erkennen und mit einem Freudenschrei zu ihm gelaufen kommen würde. Im Stillen überlegte er sich, was er zu ihr sagen wollte, und stellte sich vor, was sie darauf antworten würde …
Karyl Mezhidov hatte ihn einmal gefragt, ob er Zi Lei liebte oder in sie verliebt war. Damals hatte er den Unterschied nicht begriffen. Jetzt
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