Sonnenfeuer - Der Frieden war nah
geschickter. Als ob sie uns auflauern wollen. Das gefällt mir überhaupt nicht.«
»Es gibt heute leckeren Fisch!« Elias versuchte, das Thema zu wechseln.
»Irgendwann beißen dir die Großen noch den Arm ab!«, antwortete Ruben, während sich sein Delta-7 Visier von selbst öffnete und hinter dem Kopf an den Rücken anfügte. Neben ihm blinkte, jetzt ebenfalls sichtbar geworden, ein autonomes G2-Verteidigungsgeschütz, bei dem sie vor zwei Monaten ein Standbein durch einen passend geschnitzten und dunkel lackierten Fischknochen ersetzt hatten. Der Scanner auf der Lafette, der sich die ganze Zeit eifrig im Kreis drehte, funktionierte hingegen noch tadellos. Im Bereich von acht Kilometern würde sich ihnen noch nicht einmal ein daumengroßer Vogel unbemerkt nähern können. Wobei sie auf dieser Welt noch nie einen Vogel gesehen hatten. Und selbst wenn Ruben eingeschlafen wäre, würden die Feuerkraft und das autonome Zielsystem des G2-Geschützes ausreichen, um den Ansturm hunderter dieser degenerierten Idioten aufzuhalten. Deren zerschossene Kadaver in der Vergangenheit das Eis übersät hatten. Leider befand sich inzwischen das letzte Magazin in der Waffe, was aber dem Schutz durch Abschreckung keinen Abbruch tat. Sie waren bereits seit zwei Jahren nicht mehr angegriffen worden. Die wenigen Schneckenköpfe, die Ruben immer mal wieder auf große Entfernung tötete, hatten sich seiner Meinung nach eher verlaufen.
»Dann müsstest du fischen gehen.« Elias liebte seinen Bruder und würde ohne zu zögern sein Leben für ihn geben. Sie teilten dasselbe Schicksal. Er verstand deshalb nicht, weshalb Ruben gerade so schwermütig war.
»Vergiss es! Die Badehose steht mir nicht!« Ruben schlug ihm auf die Schulter. Im Prinzip glichen sich die beiden wie Zwillinge. Beide waren neunzehn, groß, schlank und dunkelhaarig. Ruben hatte kurze dunkle Haare und einen Bart, Elias längere Haare, keinen Bart, aber dafür zahlreiche Narben am Körper. Er hatte vor vier Jahren mit dem Fischen angefangen, was gerade in der Anfangszeit nicht immer von Erfolg gekrönt war.
»Kezia, Elias ist wieder da. Macht das Tor auf. Wir kommen rein«, meldete Ruben ihrer Schwester über Funk.
»Ist sie auch schon zurück?«, fragte Elias besorgt. Auch ihre Schwester Kezia war neunzehn - jeder an Bord der R-12 war neunzehn Jahre alt.
»Klar. Sie ist nicht so dämlich wie du und bleibt bis zum Sonnenuntergang draußen. Aber ...« Das automatische Tor unterbrach Ruben, der, während er sprach, das G2-Geschütz abbaute. Die Hydraulik der Eingangsluke ächzte besorgniserregend und öffnete sich neben ihnen nur stockend.
»Hallo Elias«, grüßte Kezia freundlich und kam ihm entgegen. Ihre langen dunklen Haare reichten ihr bis zum Po. Sie war nur wenig kleiner und trug einen ähnlichen grau-weiß gefleckten Thermoanzug wie Elias. Scheinbar war sie ebenfalls gerade erst von der Jagd heimgekehrt. Sie half ihm, den Schlitten hereinzubringen und den Eishai auf einen Rollwagen zu heben. Der Eingang zum Habitat war im Prinzip nicht mehr als ein Korridor, der schräg nach unten zu den anderen Modulen führte. Einige der ehemals weißen Kunststoff-Abdeckungen fehlten bereits und die verbliebenen waren nicht mehr weiß.
»An deiner Stelle würde ich Kezia nicht warten lassen. Sonst nehme ich sie!«, witzelte Ruben, der mit ihrer anderen Schwester Sarai zusammen war, »Und Kezia, egal was du anhast, du machst mich kirre!«
»Dich will ich aber nicht!«, hielt Kezia dagegen, die Elias nicht ohne Grund so aufmerksam empfing. In der kleinen Gemeinschaft boten sich nicht viele Möglichkeiten, Partner zu finden.
»Siehst du. Bärte machen alt!«, rief Elias seinem Bruder zu. »Und das andere kannst du Kezia und mir überlassen!« Er mochte Kezia, auch sie liebte es, im Polarmeer in kurzer Hose Eishaie fischen zu gehen. Was auch das einzige Hobby war, dem man in dieser Gegend nachgehen konnte. An Bord der R-12 war sie der Kommunikationsoffizier, was bedeutete, dass sie den ganzen Tag Funksprüche in die Welt schickte und mittlerweile sogar in der Lage war, die verschiedenen Wirbelstürme am Äquator am elektromagnetischen Funkfeuer zu unterscheiden. Jemand anderes hatte ihr bislang jedenfalls nicht geantwortet.
»Hast du schon gehört, was passiert ist?«, fragte Kezia betroffen, während sie gemeinsam mit Elias im Lagermodul für Lebensmittel den Raubfisch ausnahm. Die Knochen, die Haut, das Fleisch und das Fett, es gab nichts, was nicht verwertet wurde.
Weitere Kostenlose Bücher