Sonnenfeuer
gutes Versteck. Jannali folgte ihr durch das angesengte Baumgestrüpp und kauerte sich neben sie. »Du bleiben hier?«
»Ja«, erwiderte Diamond und gab Jannali einen Kuß auf die Wange. »Du bist so nett zu mir. Danke.«
»Du gute Mädchen«, meinte Jannali. »Kluge Mädchen.« Sie seufzte tief und rang nach Worten. »Heute alle Schwarze traurig. Du nicht dürfen vergessen deine Leute.«
Diamond umarmte die Frau und brach in Tränen aus.
Ein bleicher Mond schob sich zwischen den Wolkenfetzen hindurch, tauchte die Grabsteine in ein trübes Licht und verzerrte ihre Umrisse, die sich vor einem dunklen Hintergrund abhoben. Sie kamen Diamond jetzt größer und bedrohlicher vor, und sie versuchte, nicht in diese Richtung zu sehen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Ständig drehte sie sich um, weit sie meinte, daß sich ihr irgend jemand oder irgend etwas von hinten näherte. Um sich abzulenken, dachte sie an Essen, denn sie war hungrig. Sie wünschte, Jannali wäre bei ihr geblieben. Unten im Haus brannten Lichter, und sie fragte sich, ob die Männer noch immer nach ihr suchten.
Der Schrei einer Eule zerriß die Stille. Diamond zuckte zusammen, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Dann lehnte sie sich mit einem Seufzer zurück und legte den Kopf auf den Baumstamm. Eigentlich wollte sie ein wenig schlafen, doch immer wieder riß sie die Augen auf und sah sich um. Wenn diese Männer nun auf die Idee kamen, hier oben nach ihr zu suchen? Sie durfte nicht schlafen.
Der weiße Lattenzaun, der den Friedhof säumte, zog Diamonds Blicke magisch an. Die Latten sahen aus, als bewegten sie sich, als liefen lange, dürre Gestalten im Dunkeln hin und her. Diamond glaubte, auch wieder diese seltsamen Stimmen zu hören. Ängstlich lauschte sie in die Nacht, und tatsächlich, da war es wieder, ein dunkles Stimmengewirr. Es klang, als redeten sie miteinander, als klagten sie und riefen Namen. Deutlich vernahm sie die Stimme eines Mannes: »Clem.« Und noch einmal, diesmal lauter: »Clem.«
Diamond wußte nicht, was das zu bedeuten hatte, doch die Stimme war so nahe, daß sie den Hauch des Atems an ihrer Wange zu spüren meinte. »Clem«, tönte es wieder, dann hob sich die Stimme zu einem markerschütternden Schrei: »Clem!«
Zu Tode erschrocken sprang Diamond auf. Was immer ihr im Haus geschehen mochte, so schlimm wie hier konnte es nicht sein. Sie hatte kein Recht, hier unter diesen Geistern zu sein, sie wollten sie von diesem Ort vertreiben. Leise trat sie aus dem Geäst hervor und schlich am Zaun entlang.
Eine weiße Gestalt schien auf sie zuzuspringen, und beinahe hätte sie entsetzt aufgeschrien, doch da erkannte sie, daß es nur ein Strauch mit weißen Blumen war, die großen weißen Engelstrompeten mit ihren trichterförmigen, herabhängenden Blüten. Diamond blieb stehen und starrte den Busch an. Im selben Augenblick waren die Stimmen verstummt. Alles um sie herum schien gespannt den Atem anzuhalten und zu warten, was sie nun tun würde …
Eine Weile betrachtete Diamond den Strauch mit seinen leuchtenden weißen Blüten. Sie dachte an Mrs. Buchanan, die ihr von Anfang an nur Haß entgegengebracht hatte, die Perfy um jeden Preis hierbehalten wollte und die schließlich auch die Männer auf sie gehetzt hatte. Sie ist ein böser Mensch, kam es Diamond in den Sinn, und dabei fühlte sie sich auf sonderbare Weise im Einklang mit den Geistern. Sie schob die Blumen beiseite und brach ein paar von den langen, dünnen Blättern ab, die wie grüne, glänzende Messer hinter der falschen Süße der prachtvollen Blüten zu lauern schienen.
Auf dem felsigen Boden suchte sie nach einigen flachen Steinen, zwischen denen sie die Blätter zerrieb. Es war kaum ein Teelöffel voll, doch das genügte. Sie wickelte das Häufchen in ihren Schal und verknotete ihn.
Vor dem Haus brannte noch immer Licht, als Diamond durch den Garten schlich und in die Küche schlüpfte. Das Tablett mit Mrs. Buchanans Schlaftrunk stand an der gewohnten Stelle. Mae hatte ihr in einer Porzellantasse bereits den Kakao mit Milch und Zucker hergerichtet. Jetzt mußte die Dame des Hauses die Tasse nur noch mit dem Wasser auffüllen, das in dem großen schwarzen Kessel über dem niedergebrannten Feuer warmgehalten wurde. Diamond nahm ein paar Fingerspitzen von den feuchten, zerriebenen Blättern und rührte sie in die Tasse. Dann wischte sie den Löffel an ihrem Schal ab. Geräuschlos verschwand sie wieder im Dunklen. Draußen wusch sie sich die Hände
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