Sonnenfeuer
der Gegend nahe des Äquators konnte alles, was sich bewegte, gefährlich werden. Zuvor war Ben in die Berge geritten, um Tinbin zu besuchen, einen steinalten Aborigine, der Darcy und ihn praktisch von Geburt an kannte. Inzwischen mußte er neunzig Jahre alt sein. Tinbin genoß in der ganzen Umgebung als Ältester des Mian-Stammes – des Nachbarvolks der Ilba, die auf Caravale und in der nächsten Umgebung lebten – hohes Ansehen. Früher war er ein großer Häuptling gewesen, doch inzwischen war er berühmt für seine Weisheit und seine magischen Kräfte. Für die beiden Jungen war er eigentlich immer nur ein häßlicher alter Schwarzer mit einem langen weißen Bart gewesen, der sie ständig mit Beeren und Nüssen fütterte. Kürzlich war Ben wieder eingefallen, daß sein Name »Wind aus dem Norden« bedeutete, und er wollte sich erkundigen, ob Tinbin ihm etwas über ihr Ziel erzählen konnte.
Er fand ihn vor seiner Höhle an einem erloschenen Feuer kauernd. Sein langes weißes Haar war verfilzt, doch seine wässrigen Augen funkelten ihm munter und neugierig entgegen. Zum Gruß hob er die vor Schmutz starrende Hand. »Lange Zeit nicht kommen zu Tinbin, Ben.«
»Ja, es ist lange her«, sagte Ben, während er das mitgebrachte gebratene Hähnchen, das Fladenbrot und die Kekse aus dem karierten Küchentuch wickelte.
Tinbin gluckste vor Vergnügen und riß sich einen Hühnerschenkel ab. »Jungen kommen nur für Spielen. Aber Männer kommen für etwas wollen. Was du wollen, Mister Ben?«
Ben lachte. »Du alter Schurke, dir entgeht aber auch gar nichts! Ich brauche deinen Rat, denn ich will in eine fremde Gegend.«
Tinbins zerfurchtes Gesicht verzog sich zu einem zahnlosen Grinsen. »Du suchen goldene Stein und setzen über große Fluß mit Kanu. Tinbin wissen.«
»Du alter Gauner, das haben dir deine Leute erzählt.« Ben mußte grinsen, denn er wußte, daß Tinbin seinen Platz nie verließ.
Unbeeindruckt gab Tinbin ihm recht. »Alles erzählen Geschichte.«
»Ich will aber nicht zum Gilbert River reiten, sondern ganz weit in den Norden hinein«, erläuterte Ben, und Tinbin nickte. »Ja, dort viel große Fluß.«
Ben wurde klar, daß er zwar die Weißen hinters Licht führen konnte, nicht aber die Schwarzen. Diese besaßen anscheinend einen besonderen Sinn für Wahrheit, den er mit dem Verstand nicht ergründen konnte. »Ja, das stimmt«, gab er zu. »Und ich möchte etwas über die Leute wissen, die dort leben. Über dein Volk. Welche Stämme gibt es dort?« Für das Gelingen ihres Unternehmens war es wichtig, zu wissen, welche Stämme freundlich und welche kriegerisch waren.
»Besser du bleiben hier«, warnte ihn Tinbin.
»Nein, ich muß gehen. Welcher Stamm lebt hinter dem Land der Mian?«
»Sie Volk von Kutjali«, antwortete Tinbin.
»Sind sie gut?«
Tinbin überlegte eine Weile und sagte dann: »Du nicht nehmen etwas. Du nicht jagen ein Opossum, nicht sammeln ihre Honig, dann du bleiben leben.«
»Ich will nur durch ihr Land reiten«, meinte Ben. »Und ihre Nahrung rühre ich nicht an. Dafür habe ich ja meine Vorräte.« Er zog eine Karte dieser Gegend heraus. »Und welcher Stamm kommt dann?«
»Sie Jangga. Sie große Medizinmänner. Viel magische Kraft.«
Von diesem zurückgezogen lebenden, uralten Volk, das bei den Schwarzen hohes Ansehen genoß, hatte Ben schon gehört. Allem Anschein nach waren sie die Philosophen der schwarzen Kultur, die Schriftgelehrten. Sie würden ihm nicht in die Quere kommen. »Und weiter?«
»Hier Banjin«, zeigte ihm Tinbin, »und hier Kalkadoon.«
»Verdammt«, entfuhr es Ben.
Tinbin grinste zufrieden, nahm sich ein Stück Brot und wikkelte den Rest der Mahlzeit in das Tuch. »Tinbin schon sagen, du besser bleiben hier. Viel große Stamm.«
Ben dachte nach. Als er so neben dem Alten saß, fühlte Ben sich in die Zeit zurückversetzt, als er mit Darcy hierhergekommen war. Damals hatten sie sich im Schneidersitz neben Tinbin gehockt und gespielt, sie seien Schwarze. Sie hatten über das Tal geblickt, und nach und nach waren ihnen alle Geräusche, selbst das Federrascheln oder das Glucksen eines Vogels, überdeutlich bewußt geworden. In ihrer Beständigkeit wurden diese Geräusche zu einem Teil der Stille. Und sie, die wißbegierigen kleinen Jungen, hätten alles darum gegeben, tiefer in Tinbins Welt der Mysterien eindringen zu können. »Würde es mir helfen, wenn ich ihr Land ganz schnell durchquere?« Schon während er den Satz aussprach, wußte Ben, wie dumm
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