Sonnenfeuer
ins Gesicht, wo er sich mit ihren Tränen vermischte. Jenseits der heiligen Lagune hatte es einen heftigen Kampf mit den Eindringlingen gegeben. Tajatella hatte eine große Gruppe Krieger ausgeschickt, die die Weißen vernichten sollten, aber der Angriff war gescheitert, und viele Irukandji-Männer waren getötet worden. Väter, Brüder, Söhne – jede Familie hatte den Verlust mindestens eines Familienmitglieds zu beklagen. Als Luka erfuhr, daß ihr Bruder und ihr zweitältester Sohn unter den Gefallenen waren, sank sie ohnmächtig zu Boden. Nie wieder würde jemand ihren Namen aussprechen dürfen. Noch nie in der ruhmreichen Geschichte der Irukandji war ihnen ein solch großes Unglück widerfahren. Schon wenn ein einziger Stammesangehöriger starb, trauerte der ganze Stamm, und nun wußten sie nicht, wie sie diesen großen Verlust ertragen sollten.
Tajatella versuchte, seinem Stamm wieder Mut zu machen. Er rief eine Versammlung hoch oben auf dem Plateau ein, und Kagari folgte ihrer weinenden Familie durch den Wald. Vor Trauer wollte ihr schier das Herz brechen. Große Feuer wurden entfacht, und die Männer stampften und wiegten sich im Takt der Trauergesänge. Ihre Gesichter waren weiß bemalt, denn Weiß war die Farbe des Todes, und im Hintergrund sangen die Frauen und schlugen mit umwikkelten Ästen auf hohle Baumstämme. Im Rhythmus der Trommeln verwandelte sich ihre Trauer in Wut.
Tajatella wirkte mit seinem hohen Kopfschmuck aus Ton und einer Kette aus Haifischzähnen noch furchterregender als sonst. Brustkorb, Arme und Beine hatte er mit weißer Farbe nachgezogen, so daß er in der Dunkelheit wie ein Gerippe aussah. Wild schwang er den Speer in alle Himmelsrichtungen, schwor blutige Rache und forderte sein Volk auf, gemeinsam den Feind zu vertreiben.
Nach der Zeremonie versammelten sich alle um die Feuer, um ein großes Fest zu feiern, das ihnen Kraft geben sollte. Hunderte und Aberhunderte von Irukandji nahmen daran teil. Kagari wartete bei den Frauen im Hintergrund, denn den Männern gebührte der Vortritt.
Obwohl die Frauen um Kagari immer noch weinten, sogen sie gierig den Duft des gebratenen Fleisches ein und hofften, auch noch etwas abzubekommen. Kagari blieb bei ihnen, obwohl sie nicht hungrig war; sie machte sich Gedanken über die Zukunft. Gegen die Gewehre würde ihr Stamm nichts ausrichten können. Sie täten besser daran, sich zu verstecken und die Goldgräber unbehelligt zum Palmer ziehen zu lassen. Nach dem Goldrausch würden die Weißen vielleicht wieder verschwinden. Aber sie wußte, solche Überlegungen waren sinnlos. Die Irukandji würden kämpfen. So war es immer gewesen, und nichts würde sie von den Sitten ihrer Vorväter abbringen.
Hungrig griffen die Frauen nach dem Fleisch, das auf den heißen Kohlen lag, und zogen sich dann zurück, um zusammen zu essen. Den Jägern mußte das Glück außerordentlich hold gewesen sein, dachte Kagari. Es gab viel Fleisch, Känguruhfleisch vermutlich. Dann sah sie genauer hin und wich entsetzt zurück. Das war kein Känguruhfleisch, auch nicht Opossum oder Fisch. Was ihre Stammesangehörigen hier mit solchem Genuß verzehrten, war zweifelsohne Menschenfleisch. Vereinzelt waren noch Arme und Beine zu erkennen. Entsetzt betrachtete sie eine Weile die Essenden, kämpfte sich dann durch die Menge und floh von Ekel geschüttelt in den Busch, wo sie würgend und schluchzend niedersank. Nun erinnerte sie sich wieder: Die Irukandji hatten doch schon immer ihre Feinde gegessen, nicht wahr? hämmerte eine Stimme in ihrem Kopf. Das hast du gewußt. Es war die letzte Demütigung, die man einem Feind antun konnte, und auf sie gründete sich der furchteinflößende Ruf dieses unbesiegbaren Stammes.
Mit aller Kraft versuchte sie zu vergessen, was sie eben gesehen hatte, doch das Entsetzen wollte nicht weichen. Schluchzend kauerte sie sich im anheimelnden Dunkel des Waldes zusammen. »O mein Gott!« schrie sie, wobei sie, ohne es zu bemerken, Mrs. Beckmanns Worte benutzte. Sehnsucht nach den glücklichen Tagen mit ihr und dem Käpt’n überkam sie. Was würde sie darum geben, Mrs. Beckmann wiederzusehen!
Luka nickte nur, als Kagari ihr am nächsten Morgen mitteilte, daß sie aufbrechen mußte. »Du gehst nun zu den Winden«, sagte sie lächelnd. »Die Geister haben mir eine große Ehre erwiesen.« Aus der Höhle holte sie einen schweren Beutel aus Opossumleder. »Hier, vergiß deine gelben Steine nicht. Damit kannst du den Geistern beweisen, daß du hier
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