Sonnenfeuer
fühlten sich erstaunlich weich und kühl an, und er küßte sie ohne Hast, so als hätten sie alle Zeit der Welt. Dann trat er mit einem spitzbübischen Lächeln zurück. »So ein Glück braucht man als Mann.« Im nächsten Augenblick war er bereits lautlos um die Ecke verschwunden. Perfy blieb wie angewurzelt stehen. Eigentlich hätte sie ja entrüstet sein sollen, und gewissermaßen war sie das auch. Wie konnte er es wagen? Gott sei Dank hatte Mutter nichts bemerkt. Aber als sie später in ihrem Bett lag, träumte sie von dem Kuß und davon, wie Billy Kemp sie in die Arme nahm. Sie war durcheinander. Keiner Menschenseele würde sie erzählen, daß Billy Kemp sie geküßt hatte. Eine innere Stimme warnte sie, daß Billy Kemp ihr Kummer bereiten würde.
Diamond kochte vor Wut. Sie hätte nie gedacht, daß sie so zornig werden könnte. Es war ihr gelungen, den Schmerz, den ihr der Abschied von der Missus bereitet hatte, zu unterdrücken. Sie hatte sich einfach bemüht, nicht daran zu denken. Doch so sehr sie es auch jetzt versuchte, die Haushälterin konnte sie nicht vergessen. Sie haßte diese böse Person. Sogar Hannah, die Waschfrau, der Diamond gehorchen mußte, war im Vergleich dazu noch erträglich. Zwar war sie mürrisch und kam jeden Morgen in die Waschküche gestürmt, als zöge sie in die Schlacht, aber Diamond hatte schließlich festgestellt, daß die weiße Frau nur schreckliche Angst vor Mrs. Porter hatte. Sie befürchtete, ihre Arbeit zu verlieren, denn ihr Mann hatte sie mit sechs Kindern sitzenlassen. Wenn sie allein waren, benahm sich Hannah ganz vernünftig und wurde sogar fast gesprächig. So erfuhr Diamond, was für eine Tyrannin Mrs. Porter war; vor allem die kleine Annie, das Küchenmädchen, hatte unter ihr zu leiden. »Wir müssen aufpassen«, sagte Hannah. »Sie schiebt immer uns Dienstboten die Schuld in die Schuhe. Davon könnte die Köchin ein Lied singen. Du bügelst wirklich gut, Mary, das muß ich zugeben, aber paß beim Stärken auf. Wenn nicht alles schön sauber gestärkt ist, geht’s mir an den Kragen. Jedesmal, wenn jemand von uns aus der Reihe tanzt, kürzt sie uns den Lohn. Die Köchin hat den Verdacht, daß die Porter das Geld in die eigene Tasche steckt. Aber das soll nicht deine Sorge sein.«
Damit hatte Hannah recht, denn Diamond bekam keinen Lohn. Es war üblich, daß Schwarze für Kost und Logis arbeiteten. Das war ungerecht, aber im Augenblick gab es nichts, was Diamond dagegen tun konnte. Wenigstens besaß sie immer noch die zehn Pfund von der Missus, die Diamond in ihrer Seemannskiste versteckt hatte.
Das Haus stand inmitten einer wunderschönen Gartenanlage, wo Diamond gern ihre freie Zeit verbrachte. Meistens saß sie in der hintersten Ecke am Zaun und hörte den Vögeln zu. Sonst wirkte deren geschäftiges Treiben beruhigend auf sie, aber heute war es anders.
Mrs. Porter hatte ihr ins Gesicht geschlagen, und nicht nur Perfy hatte das gesehen, auch die Köchin hatte es beobachtet. Diamond fühlte sich gedemütigt. Würde man sie wie all die anderen schwarzen Hausangestellten bis an ihr Lebensende ausbeuten? Also mußte sie weg von hier. Aber wohin sollte sie gehen? Wenn Mrs. Porter noch einmal die Hand gegen sie erheben sollte, würde Diamond zurückschlagen. Sie war stark, sie würde mit der Krähe, wie die anderen sie nannten, schon fertigwerden. Dieser Spitzname war eine Beleidigung für alle Krähen. Mrs. Beckmann hatte sie ermahnt, sehr vorsichtig und bescheiden zu sein. Schwarze Frauen, die in Schwierigkeiten gerieten, landeten schnell im Gefängnis.
Ein gelbbraune Schlange glitt auf der Suche nach ihrem Nest an ihr vorbei. Diamond hatte die Schlange oft gesehen, sie war die größte Schlange, die hier lebte, und sehr gefährlich. Sie ernährte sich von den Mäusen und Ratten, die sich vom Flußufer hierher verirrten. Diamond beneidete sie. Sie selbst hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen.
Dann ereignete sich der Zwischenfall mit den Tischtüchern. Hannah war schon nach Hause gegangen, und Diamond beendete in der Dämmerung gerade ihre Bügelarbeit, als Mrs. Porter mit drei großen Tischtüchern hereingestürzt kam. »Schau dir das an! Deine schlampige Bügelei lasse ich nicht länger durchgehen! Bügle sie noch einmal, und diesmal ordentlich!«
Diamond wußte, daß Hannah die Tücher gebügelt hatte, aber es wäre zwecklos gewesen, das zu erwähnen. Sie nickte und nahm die kleine Schaufel, um Kohlen für das Bügeleisen aus den
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