Sonnenfinsternis: Kriminalroman
los. Wir lachten Tränen. Jedesmal, wenn sich einer von uns einigermassen in den Griff gekriegt hatte, stiess der andere wieder wie ein Idiot keine Sauereien! hervor. Wir lachten so fest, dass mir die Seite weh tat und ich aus dem Bett fiel, was bei Ivi selbstverständlich einen neuen Lachanfall auslöste. Schliesslich schleppte er sich kichernd ins Badezimmer und klatschte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Das schien zu helfen. In der Folge beruhigte auch ich mich langsam.
«Scheisse!» Ich konnte nur den Kopf schütteln. «Na, wenigstens haben uns unsere Frauen nicht so gesehen.»
Ivica grinste nur fröhlich.
Ich musterte ihn nachdenklich und fragte: «Übrigens, willst du mir nicht sagen, was es mit dem Pass auf sich hat?»
Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. Er zuckte mit den Schultern. «Kann manchmal ganz praktisch sein.»
«Das bezweifle ich nicht», erwiderte ich, «aber es ist auch ganz schön illegal. Wo hast du das Ding her?»
Er zuckte erneut mit den Schultern und schwieg.
Schliesslich schüttelte ich den Kopf und meinte: «Na schön , geht mich ja nichts an. Aber gut zu wissen, dass ich jemanden kenne, der jemanden kennt , et cetera . Nur für den Fall.»
Ungerührt erwiderte er: «Ja, eben, das kann manchmal ganz nützlich sein. Apropos: B evor wir gehen, sollten wir die hier einstecken, wenn wir schon keine Knarren haben.» Er öffnete seine Sporttasche, nahm eine Metallbüchse hervor, klopfte darauf und erklärte: «Verbleit. Röntgensicher.» Dann öffnete er die Schachtel und nahm zwei identi sche Klappmesser hinaus. Sie hatten einen Horngriff und sahen aus wie die Messer, welche Förster mit sich herumtrugen. Er steckte eines in die linke Hintertasche seiner Jeans und reichte mir das andere mit den Worten: «Hier, für alle Fälle.»
«Was, für den Fall, dass ich ein Reh häuten muss?»
«Steck es einfach ein und spar dir die klugen Sprüche. Ich weiss genau, dass du auch lieber eine Knarre hättest, aber damit können wir immerhin jemandem die Füllungen lösen, wenn es nötig ist.»
«Und wieso sollte es nötig sein?»
Er warf das Messer auf das Bett und wiederholte ungeduldig: « Nimm es einfach!»
Wortlos griff ich nach dem überdimensionierten Zahnstocher und steckte ihn ein.
Ich war nicht das erste Mal in Wien, und wie immer verfiel ich fast augen blick lich dem leicht dekadenten imperialen Charme der ehemaligen Reichs haupt stadt Österreich-Ungarns. Die kaiser lich-könig liche Vergangenheit war vor allem in der Innen stadt an jeder Strassenecke, an jedem Haus und in jedem Park präsent. N ebst einer Vielzahl von Gebäuden aus der sogenannten Gründerzeit war das Stadtbild von einem eklektischen Mix verschiedenster archi tek to ni scher Stilrichtungen geprägt, von Jugendstilbauten wie der Secession, der Stadt bahnstation Karlsplatz oder der Kirche am Steinhof über die romanische Ruprechts kirche und den gotischen Stephansdom bis hin zur barocken Karls kirche. Am berühmtesten war aber wohl das Hundertwasserhaus, Friedensreich Hundert wassers Gegenmodell zur nüchternen modernen Bauweise.
Kürzlich hatte ich gelesen, dass Wien die zweithöchste Lebensquali tät der Welt aufweisen sollte. Gleich nach Zürich, notabene. Die Men schen waren freundlich und sprachen mit einer allgegenwärtigen , feinen , unterschwelligen Ironie, dem berühmten Wiener Schmäh .
Unser Hotel befand sich in der Nähe des Enkplatzes. Als wir auf die Strasse traten, sahen wir nicht weit entfernt die zwei markanten Türme der Neu sim merin ger Pfarrkirche. Ich war schon einmal hier gewesen, und auch damals hatten mich die drei hohen, oben abgerundeten Fenster und das blütenförmige Fenster darüber an die Umayyad-Moschee erinnert, die ich einmal in einem Dokumentarfilm gesehen hatte. Ich fand das irgendwie i ronisch.
Die U-Bahnstation Enkplatz lag unmittelbar neben dem Hauptein gang der Kirche, klar gekennzeichnet durch einen auf einer langen Eisen stange sitzenden grossen blauen Würfel mit einem markanten weissen ‹ U › darauf. Die Station selbst war unterirdisch angelegt und durch einen modern anmutenden, lang gezogenen Glasbau mit halbrun dem Dach erreichbar. Wir stiegen die zwei Stock werke zu den Bahn gelei sen hinunter und warteten auf den nächsten Zug.
Die Linie Drei verband Simmering direkt mit unserem Ziel, Ot takring. Während der Fahrt betrachtete ich den Netzplan über der Tür. Das Netz der Wiener U-Bahn bestand aus fünf Linien, jede in einer eige nen Farbe gehalten.
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