Sonnenfinsternis: Kriminalroman
Gefechtslärm gänzlich auf.
Etwas später gab einer der Bewacher das Kommando, sich in Zweier reihen aufzustellen. Als die achtundsechzigjährige Vesima Delić sich nicht schnell genug bewegte, schlug er sie mit dem Gewehrkolben rück sichts los nieder. Ihr Sohn Bakir stellte sich sofort schützend vor sie und pro testier te lauthals. Auch er wurde brutal niedergeschlagen. Ein anderer Serbe tötete beide durch Kopfschüsse aus seiner Pistole. Danach protestierte niemand mehr.
Anschliessend wurden die Gefangenen wie Vieh durch das Dorf ge trieben. Auf dem Weg beobachtete Begić resigniert, wie die Eroberer in Vierer gruppen von Haus zu Haus gingen und die letzten Leute auf spürten, die sich noch versteckt hielten. Auch sie wurden abgeführt. Gleich zeitig hatten andere Soldaten bereits damit begonnen, alle noch brauchbaren Wertsachen aus den Ruinen zu plündern. Die wenigen noch intakten Häuser wurden angezündet.
Als sie an der grossen Schweinefarm am Dorfrand vorbeikamen, konnte Begić sehen, wie eine Leiche nach der anderen in die riesige leere Jauchegrube neben dem Haupthaus geworfen wurde. Ein Benzin tank wagen stand daneben. Die armselige Gefangenenkolonne mar schierte so nahe daran vorbei, dass er die Gesichter der Toten sehen konnte. Darunter waren Mitglieder der örtlichen Miliz, unter ihnen Mujo Hasanovićs älterer Bruder Amir, aber auch Frauen und sogar einige Kinder. Fast alle waren einmal seine Schüler gewesen. Die meisten wiesen so schlimme Verletzungen auf, dass wohl der Artillerie be schuss dafür verant wort lich sein musste . Erschüttert schaute er weg.
Ihr Ziel war der eingezäunte Fussballplatz neben der zer störten Schule. Die trockene Sommerwiese war voller flacher Krater und der Maschen drahtzaun wies eine Vielzahl von unregelmässigen Löchern auf. Vor allen grös se ren Lücken und auch vor dem Haupteingang standen Bewaffnete. Begić musste wie die Anderen alle Wertsachen abgeben und wurde durchsucht, bevor man ihn mit einem Fusstritt auf den Fussballplatz schickte .
Als er das Tor aus Maschendrahtzaun und Stahlgitter durchschritt, sah Begić, dass nur ein kleiner Teil der Territorialverteidigung, vielleicht etwa zwanzig bis dreissig Mann, resigniert mitten auf dem Platz um einen besonders grossen Krater herum sassen. Ihre Hände waren mit Stacheldraht auf den Rücken gefesselt. Wo war nur der Rest? Auch s eine zwei achtzehn und neunzehn Jahre alten Söhne waren nicht dabei . Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Seine Frau versuchte , durch den Zaun hindurch mit ihrem ehemali gen Nach barn Marko zu sprechen, der bei einer Gruppe Bewaffneter stand. «Warum tut ihr das nur ?», fragte sie ihn vorwurfsvoll .
Marko ignorierte sie zunächst, aber nach dem dritten Mal spu c kte er schliess lich auf den Boden und sagte trotzig : «Vor fünfzig Jahren habt ihr das G leiche mit uns gemacht.»
In den folgenden Stunden kamen immer mehr Gefangene hinzu . Da run ter waren nicht nur Moslems, sondern auch einige Kroaten und sogar ein paar Serben, die mit Musliminnen verheiratet waren. Von einem von ihnen erfuhr Begić dann , dass eine Gruppe von etwa fünfzehn Verteidigern – die meisten davon verwundet – nach ihrer Gefangennahme summarisch exekutiert worden waren. Die Angst, dass darunter auch seine Söhne gewesen sein könnten , machte ihn fast verrückt.
Irgendwann am frühen Nachmittag wurde dann der Imam des Dorfes, Emir Ha ram bašić, wie ein Schaf von zwei breitschultrigen Kerlen mit Fusstritten und Kolben stössen zum Fussballplatz getrieben. Die beiden gehörten zu einer Gruppe von etwa fünfzehn bis zwanzig lauten, betrunkenen Burschen, die nicht Teil der VRS zu sein schienen. Sie waren auffallend schlampig gekleidet und trugen keine einheitlichen Uniformen. Etwa die Hälfte von ihnen war in Jeans und Lederjacke, der Rest hatte eine Mischung aus ziviler und militärischer Kleidung an . Auch ihre Bewaffnung war sehr uneinheitlich. Eines jedoch verband sie : Alle trugen den gleichen runde n Aufnäher am Oberarm und auf ihren Mützen. Als die zwei Kerle den verängstigten Imam vor dem Eingang des Fussballplatzes auf die Knie zwangen, konnte Begić das Emblem darauf deutlich sehen: e in doppelköpfiger gekrönter Adler, in weisser Farbe aufgestickt. Das Wappentier Serbiens. Er stand auf einem langgezogenen rot-blau-weiss Banner . In seiner Körpermitte befand sich ein gol dge rahmtes Wappenschild mit rotem Kreuz. Das Ganze war von zwei konzentrischen goldenen Kreisen umgeben,
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