Sonnenfinsternis: Kriminalroman
und als Marathonläuferin für meinen Geschmack etwas zu dünn. Ihr arabischer Vorname, der ‹glücklich › bedeutete, war für ihre Mitarbeiter bei der Kantonspolizei Anlass für eine Unzahl Terroristenwitze, die sie meist gutmütig über sich ergehen liess. Ihre Augen funkelten mit einer Art spöttischer Herausforderung, und ihre schwarzen Haare kontrastierten ihre helle Haut auf elegante Weise. Sie betonte diesen Effekt bewusst mit schwarzer Wimperntusche und dunklem Liedschatten, und sie trug meist dunkle Kleider. Heute hatte sie einen anthrazitfarbenen Hosenanzug mit weisser Bluse und schwarzen Stöckel schuhen an. Das Outfit verfehlte seinen Zweck nicht. Mehrere der Männer an den Nach bar tischen warfen mir neidische Blicke zu.
Ich erhob mich und küsste sie zur Begrüssung auf die Wange. Kaum hatte sie sich gesetzt, läutete auch schon ihr Handy, und sie verbrachte zwei Minuten in lebhafter Diskussion mit jemandem namens Susanne. Nachdem sie aufgehängt hatte, sagte sie «Sorry» und schaltete ihr Handy aus. Wer sie kannte, wusste, wie schwer ihr das fiel.
Wir bestellten zwei grosse Mineralwasser mit Kohlensäure und eine Flasche Rioja. Zur Vorspeise entschied sich Zada für Pundschabi Samosa, also frittiertes Gebäck mit vegetarischer Füllung. Als Hauptgang wählte ich für uns Chicken Tikka Masala mit Reis und einer grossen Portion Naan-Brot. Während wir assen, machten wir Smalltalk und erzählten uns gegenseitig, was in den letzten paar Monaten so gelaufen war. Anscheinend hatte Zada gerade mal wieder mit einem ihrer vielen Freunde Schluss gemacht. Ihr Männerverschleiss war legendär.
Nachdem alle Speisen samt der Flasche Rotwein den Weg allen Irdi schen gegangen waren und wir unseren abschliessenden Kaffee genos sen, kramte Zada schliesslich in ihrer Handtasche herum, nahm einen prall gefüllten, nicht markierten weissen A5-Umschlag heraus und schob mir diesen herüber. Ich nahm ihn an mich, ohne ihn zu öffnen, und steckte ihn ein.
Sie blickte mir in die Augen. «Dafür schuldest du mir mehr als ein Mittag essen, mein Lieber.» Mit verschränkten Armen lächelte sie mir triumphierend zu, beugte sich vor und raunte halblaut: «Ein kompletter Ausdruck des gesamten Dossiers. Alles, was im Computer zum Fall zu finden ist.»
Ich war beeindruckt. «Wow, super! Herzlichen Dank! Weisst du, es erstaunt mich, dass du überhaupt Zugriff darauf hast.»
Sie grinste mich nur an und zwinkerte.
«Wirst du keinen Ärger kriegen?», hakte ich nach. «Du weisst, dass alle Zugriffe und Ausdrucke protokolliert werden.»
Sie machte eine abschätzige Handbewegung. «Keine Sorge. Erstens schaut niemand wirklich je diese Protokolle an, und ausserdem habe ich mich nicht mit meinem Konto eingeloggt.»
Ich starrte sie ungläubig an. «Was meinst du damit, du hast dich nicht mit deinem Konto eingeloggt?»
Ihr Grinsen wurde breiter. Es war offensichtlich, dass sie sich diebisch über etwas freute. «Na, genau, was ich sage. Mit meinem eigenen Konto hätte ich sowieso keinen Vollzugriff erhalten. Ich kenne rein zufällig das Zauber-Passwort.» Sie sah meinen ungläubigen Gesichtsausdruck und fügte hinzu: «Mach den Mund wieder zu.»
«Ist das dein Ernst? Wessen Passwort?»
Sie strahlte wie ein kleines Kind am Heiligabend. «Roth!»
«Heinrich Roth?»
«Ja, genau, der Roth. Dein Roth. Der grüne Heinrich.» Sie schaute mich triumphierend an. Ich schüttelte den Kopf. «Warte», fuhr sie fort, «was hältst du davon ? Das Passwort ist Vorname und Geburtsjahr seiner Frau, kannst du das glauben?»
Natürlich konnte ich das. Roth war und blieb ein Vollidiot. «Und wieso weisst du das?»
Sie zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, dass dies ja nichts zur Sache täte. Da hatte sie Recht.
«Und wenn die Protokolle doch einmal kontrolliert werden und Roth angibt, das Dossier nie geöffnet zu haben?»
«Ach was. Erstens werden die Protokolle nie kontrolliert, zweitens hat der grüne Heinrich bekanntlich ein Gedächtnis wie ein Emmentaler, und drittens wird kaum einer dieser Technikfritzen einen Offizier fragen, aus welchem Grund er ein bestimmtes Dossier geöffnet hat, oder? Meinst du im Ernst, jemand macht sich deswegen zusätzliche Arbeit?»
Ich lachte leise in mich hinein und meinte dann: «Du erstaunst mich immer wieder!»
Mit kokettem Augenaufschlag blickte sie mich grinsend an und erwiderte: «Nicht wahr?»
Kurz darauf verabschiedeten wir uns und ich eilte förmlich zurück zum Büro. Dort angekommen, kramte ich
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