Sonnenfinsternis: Kriminalroman
wie eine Hexe aus, allerdings ganz und gar nicht böse, nur etwas vom Alter gezeichnet. István Gyurcsány stellte sie als ‹mein Engel Katalin› vor und bedeutete mir dann, mich auf die eine Seite des Sofas zu setzen. Er selber setzte sich auf die andere, und sein Engel belegte den Schaukelstuhl. Beide sahen mich erwartungsvoll und ein wenig aufgeregt an.
«Herr und Frau Gyurcsány», begann ich, wobei ich mir grosse Mühe mit der richtigen Aussprache des Namens gab und dafür mit einem anerkennenden Blick der Frau belohnt wurde, «ich störe Sie nur ungern, und Sie müssen keine Angst haben, die Angelegenheit betrifft Sie nicht direkt.» Beide entspannten sich sichtbar. «Ich möchte mich gerne ein wenig mit Ihnen über die anderen Bewohner dieses Hauses unter halten…»
In diesem Moment stand Katalin Gyurcsány abrupt und über ra schend zackig auf und sagte in gutem Zürcher Dialekt mit einigen ein ge mischten hochdeutschen Wörtern und einem leichten Akzent un defi nier barer Herkunft: «Oh, wo sind nur meine Manieren? Möchten Sie einen Kaffee, Herr…?»
Gerade noch rechtzeitig kam mir in den Sinn, als wen ich mich ausgegeben hatte. «Steiner. Und ja, Kaffee wäre toll.»
Sie verschwand in der Küche und begann dort herumzu hantieren . In der Zwischen zeit unterhielt ich mich mit ihrem Mann. Die Gyurcsánys waren an scheinend nach dem Einmarsch der Roten Armee während des Ungarischen Volks aufstands Anfang November 1956 wie rund vierzehntausend ihrer Landsleute in die Schweiz geflohen, hatten sich hier kennen- und liebengelernt und wohnten seit ihrer Heirat im Jahr 1967 in dieser Wohnung.
Katalin Gyurcsány kehrte mit drei Tassen dampfendem Kaffee, Milch und Zucker auf einem silbernen Tablett zurück. Ich lächelte sie dankbar an und sagte: «Sie retten mein Leben, Frau Gyurcsány!»
Sie lächelte scheu zurück, ermahnte mich dann aber mit Nachdruck: «Damit sollte man nicht spassen, Herr Steiner!»
Ich nickte zerknirscht und fuhr dann fort : « Also, können sie mir etwas über die junge Dame sagen, die über ihnen wohnt?»
«Ach, sie meinen Sarah?» , strahlte d ie alte Frau. «Sie ist so ein nettes Mädchen!»
«Sarah? Und wie weiter?»
«Sarah Rappolder», antwortete István Gyurcsány für sie. Bingo!«Sie ist wirklich eine sehr zuvorkommende junge Frau.»
«Und was ist mit den jungen Herren in der anderen Wohnung?»
«Herr Hodler, Herr Furrer und…» Er schaute Hilfe suchend seine Frau an. «Der dritte ist mir entfallen.»
«Schellenberg», antwortete sie. «Wir haben nicht viel mit ihnen zu tun. Sie sind laut und feiern viel. Aber sonst sind sie ganz nett. Studenten halt. Wir waren ja auch mal so.»
István Gyurcsány mischte sich ein und fragte: «Herr Steiner, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber weshalb fragen Sie uns nach den drei Studenten und der kleinen Sarah?»
«Ich betreibe nur ein wenig Hintergrundrecherche.»
«Recherche? Und wozu?»
«Es geht um einen Mord, bedauerlicherweise.»
Katalin Gyurcsány gab einen erschrockenen Laut von sich. «Ein Mord ? Und was hat Sarah damit zu tun ?»
«Soweit ich bisher weiss, gar nichts», antwortete ich beruhigend.
Wie wenn sie mich gar nicht gehört hätte, fuhr sie fort: «Wissen Sie, das kann nicht sein . Die Kleine hat unmöglich mit sowas zu tun .»
«Das stimmt», pflichtete ihr ihr Mann bei. Nach einer kurzen Pause fügte er knurrend hinzu: « Bei i hr em Taugenichts von einem Bruder bin ich mir da weniger sicher .»
Das war mir nun neu. «Sarah hat einen Bruder?»
«Ja . Er besucht sie regelmässig .»
« Und w eshalb nennen sie ihn einen Taugenichts?», wollte ich wis sen. «Ist er respekt los zu ihnen?»
«Nein, das nicht. Im Gegenteil, er ist immer sehr höflich und zuvorkommend.» Die beiden wechselten einen Blick, den ich nicht deuten konnte. Dann meinte Katalin Gyurcsány: «Aber er macht mir Angst. Wir haben Leute wie ihn unter den Kommunisten in Ungarn gekannt.»
«Wie meinen Sie das?»
«Er hat eiskalte Augen. Ich glaube, wenn man ihm in die Quere kommt, dann kann er fürchterliche Dinge tun.»
«Kennen Sie seinen Namen?»
«Sarah nennt ihn Kalle.»
Ich bohrte noch ein wenig weiter und erfuhr, dass Kalle seine Schwester mindestens einmal in der Woche besuchte und dabei meist Anzug und Krawatte trug , manchmal aber auch enge Hosen, hohe Stiefel und eine kurze dicke Windjacke.
«Woher wissen Sie das denn so genau?», fragte ich, obwohl ich es mir schon denken konnte.
Die beiden warfen sich einen
Weitere Kostenlose Bücher