Sonnenfinsternis: Kriminalroman
und fuhr los in Richtung Waldhütte. Mein Plan war simpel: Sollte ich angehalten werden, würde ich den ahnungslosen amerikanischen Touristen spielen und vorgeben, mich verfahren zu haben. Zur Unterstützung dieser Legende nahm ich die Strassenkarte der Schweiz aus dem Handschuh fach und legte sie auf den Beifahrersitz. Meine Autonummer hatte ich im kantonalen Index vorsorglich sperren lassen, so dass die Skins sie nicht im Internet abrufen konnten, falls sie vor lauter Dreck überhaupt noch lesbar war.
Gerade noch rechtzeitig bog ich links auf den nicht asphaltierten , kiesbestreuten Feldweg ein, der zu Rappolders Hütte führte. Um ein Haar hätte ich die Abzweigung verpasst, die von üppig wuchernden Büschen und Stauden fast gänzlich verdeckt wurde .
Langsam holperte ich tiefer in den Wald hinein. Nach etwa fünfzig Metern kam ich überraschend zu einer Art Checkpoint. Der Feldweg machte eine lang gezo gene Rechtskurve und die Hütte war von hier aus noch nicht zu sehen, aber ich wusste, dass sie nicht mehr als etwa hundert Meter entfernt sein konnte. Die Zufahrtskontrolle machte einen durchdachten Eindruck. Links und rechts standen mehrere Plastikfässer, die auf beiden Seiten bis zu den Bäumen reichten und den Weg versperrten. Eines der Fässer war umgestürzt und ich konnte sehen, dass es mit Beton gefüllt war. Quer über die Zufahrt blockierte ein Schlagbaum aus Holz den Weg. Er sah zwar nicht sonderlich stabil aus, aber das musste er wegen des Nagelbands, welches einige Meter dahinter über die gesamte Wegbreite gelegt war , auch nicht sein.
Das Ganze war zwar improvisiert, hatte aber einen unmissver ständ lich militärischen Charakter. Hinter der Barrikade standen zwei vier schrötige Glatzköpfe in Jeans und Bomberjacken in einem aus Brettern und einer Plastikplane gezimmerten primitiven Unterstand. Sie qualm ten wie Industrie schlote und schienen ziemlich zu frieren.
Ich nahm meine Karte zur Hand und fuhr bis zum Schlagbaum vor. Zeit für Tex Auton, mein amerikanisches Alter Ego. Ich hoffte, es würde ihnen nicht auffallen, dass Tex Auton ganz in Schwarz gekleidet war.
Einer der Glatzköpfe trat nonchalant seitlich an mein Auto heran und bedeutete mir mit Handzeichen, ich solle das Fenster herunterkurbeln. Sobald es unten war, lächelte ich ihn freundlich an und sagte: «Hi, how are ya?»
Offensichtlich ohne mich gehört zu haben bellte er: «Kannst du nicht lesen? Das ist Privatbesitz, Mann!»
Ich zuckte entschuldigend mit den Achseln und antwortete: «I’m sorry, I don’t speak German. Would you happen to speak English?»
Das nahm ihm den Wind aus den Segeln. Er drehte sich zum zweiten Glatz kopf um und rief ihm zu: «Karl, komm her. Der Typ spricht nur Englisch.» Dann zeigte er mit dem Finger drohend auf mich, was mich wohl einschüchtern sollte, und wartete wortlos auf Karl. Dieser war genauso massig wie sein Kumpan und hatte eng zusammenstehende Wieselaugen, welche pausenlos nervös hin und her wanderten.
«Frag ihn, was er will», wies ihn der erste Kerl an.
«What do you want?» Sein Ton war noch eine Spur barscher als der seines Kompagnons , wenn das möglich war.
Ich griff nach meiner Strassenkarte und breitete sie über dem Steuerrad aus. Dann zeigte ich mit dem Finger fahrig auf die Karte und erklärte ihm in bester Touristenmanier, dass ich mich verfahren hätte: «Well, I guess I’m lost, silly me.»
«Was hat er gesagt?», fragte der erste Kerl.
«Er hat was verloren, glaub ich», antwortete der Zweite. Seine Sprach kennt nisse schienen ebenfalls klar begrenzt zu sein.
«What you have lost?», fragte er in zögerlichem und grammatika lisch nicht gerade einwandfreiem Englisch.
Ich antwortete langsam und deutlich: «Nothing, I hope. I just don’t know where I am.» Zur Verdeutlichung zeigte ich nochmals auf die Karte.
« Was hat er gesagt?» Das Vokabular des ersten Kerls schien sogar auf Deutsch deutliche Limiten aufzuweisen.
«Ich glaub, er hat sich verfahren», antwortete Karl geduldig. «Ein Ami. Er weiss nicht, wo er ist.» Die Frage, weshalb ein Tourist ausgerechnet hier am Arsch des Kantons Zürich durch eine praktisch zugewachsene Zufahrt auf einen ungeteerten Waldweg abbiegen sollte, schien ihn nicht zu beschäftigen.
«Na und», regte sich der Erste auf, «ist das unser Problem? Sag ihm, er soll gefälligst abhauen, aber pronto!»
Karls Übersetzung war kurz und auf den Punkt. «Fuck off!», sagte er drohend und zeigte auf die Strasse hinter mir.
Ich
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