Sonnenfinsternis: Kriminalroman
darauf. Dann meinte er: «Den Namen weiss ich nicht mehr, aber der Herr hier rechts ist Historiker. Den Anderen kenne ich nicht.»
«Es ist der gleiche Mann. Er heisst Rappolder.»
Enteler zog erstaunt die Augenbrauen hoch und schaute die Fotos nochmals an, diesmal länger. Dann sagte er bestürzt: «Rappolder ist ein Skinhead ?»
Ich nickte. «Genauer gesagt, ein Naziskin. Woher kennen Sie ihn? Erinnern sie sich an alle Ihre Studenten?»
Er schüttelte den Kopf. «Nein, nur diejenigen, die irgendwie auffallen. Ich hielt vor etwa drei Jahren einen Vorlesungszyklus an der Uni zum Thema Stay-Behind-Organisationen. Rappolder war dort Student und hat einige meiner Seminare besucht. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen, aber ich habe gehört, er hätte einen kleinen Lehrauftrag an seiner Alma Mater erhalten.»
«Sonst fällt Ihnen nichts ein?»
«Nein, ausser… er machte einen sehr intelligenten Eindruck, soweit ich mich erinnere. Aber wie gesagt, er war ein Student von vielen. Ich kenne ihn eigentlich überhaupt nicht. Im Gedächtnis geblieben ist er mir nur, weil er so interessiert wirkte. Er wollte einfach alles wissen. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, ich muss wirklich weg.»
Zurück im Büro lud ich als Erstes endlich die komprimierte Sound datei der gestrigen Observation getreu Andy s Instruktionen hoch . In der ganzen Gladio -Aufregung hatte ich das völlig vergessen. Danach probierte ich nochmals, Niamh ans Telefon zu kriegen . D iesmal mit Erfolg. Es stellte sich heraus, dass sie keineswegs so wütend über das Malheur des vorigen Abend s war, wie mir das Claudia hatte weismachen wollen. T ypisch. Meine Tochter war sofort Feuer und Flamme, als ich ihr anbot, zur Wiedergutmachung den folgenden Nachmittag mit ihr zu verbringen und sie ins Kino einzuladen. Die Aufgabe, Claudia über die Planänderung in Kenntnis zu setzen, übernahm sie gleich selbst mit dem Argument, bei mir würde diese sowieso aus Prinzip Nein sagen. Da hatte meine Kleine völlig Recht. Ich war stolz auf sie .
Danach machte ich mich auf den Weg nach Hause. Unterwegs kauf te ich einen Kebab – «mit alles» – und verschlang ihn noch im Gehen, was für meinen Magen erfreulichere Folgen zeitigte als für meine Hosen. Zu Hause angekommen fütterte ich als Erstes den vorwurfsvoll maunzenden Guinness. Danach nahm ich zwei weitere Schmerztab let ten, spülte sie mit einem Schluck Whiskey herunter und legte mich hin. Noch bevor mir bewusst wurde, dass ich bereits zum zweiten Mal nach ei nander komplett angezogen im Bett lag, schlief ich ein.
Kapitel 19
Am nächsten Morgen fühlte ich mich etwas besser. Die Vorfreude auf den Nachmittag mit Niamh wirkte Wunder. Nach dem üblichen Kaffee schluckte ich eine Schmerztablette und beschloss, nochmals ein heisses Bad zu nehmen, um meinen geschundenen Körper etwas zu entspannen. Das hiess allerdings nicht, dass ich die Zeit nicht gewinnbringend nutzen konnte. Während sich meine Badewanne mit heissem Wasser füllte, suchte ich die Unterlagen hervor, die mir Dr. Enteler mitgegeben hatte, und holte mir einen zweiten Kaffee, den ich mit ins Badezimmer nahm . Anschliessend zog ich mich aus und liess mich langsam ins dampfende Nass gleiten.
Zufälligerweise war der Artikel über die belgische Stay-Behind-Organisation zuoberst , a lso begann ich damit. Die präzise, nüchterne Sprache versetzte mich zurück in meine Studienzeit.
BELGIEN
Am 7. November 1990 schockierte der sozialistische Verteidigungs mini ster das Königreich Belgien, als er bestätigte, dass im Land eine mit der NATO verflochtene geheime Widerstandsorganisation existierte, die mögli cher weise mit ungeklärten terroristischen Anschlägen Mitte der Acht zi gerjahre in Verbindung stand. Im Anschluss daran formierte das belgische Par la ment eine spezielle Untersuchungskommission, welche die Geheim or ga nisation auflöste und ein Jahr später einen 250 Seiten starken Bericht vor legte, in dem der Werdegang dieser Organisation beschrieben wurde.
Traumatisiert von der vorausgegangenen deutschen Okkupation und der daraus folgenden Flucht nach Grossbritannien beschloss die belgische Regie rung einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die per Kriegsende abgeschaffte gehei me Widerstandsarmee angesichts der sowjetischen Bedrohung rasch wieder aufzubauen. Die neue Organisation bestand aus zwei Teil be rei chen: SDRA8 und STC/Mob.
SDRA8 war der militärische Arm und im militärischen Nachrichten dienst Service General du
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